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Verdacht auf Mord

Verdacht auf Mord

Titel: Verdacht auf Mord
Autoren: Wahlberg
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Morgenstunde wiederkehren.
    Das Panorama war unbestreitbar schön. Und seiner Meinung nach von See aus fast noch schöner. Großartig und trotzdem überschaubar. Mit den Patrizierhäusern, Kirchenruinen und Speichern, die sich vor einem Felsen, Klinten, zusammendrängten, auf dem niedrige Stein- und Holzhäuser in der gleißenden Sonne die schmalen Gassen säumten. Die Stadt war ramponiert und alt, aber nie ohne Reiz, auch nicht beim schlimmsten Unwetter. Bei näherem Nachdenken nahm sich die Stadt an einem grauen Novembertag am besten aus.
    Und das musste eigentlich irgendwie zum Ausdruck gebracht werden, obwohl jetzt zufälligerweise gerade Juni und Mittsommer war. Aber Bodén war nicht in Stimmung.
    »Meine Güte, wie schön!«, rief dann natürlich Nina.
    Hier rang er innerlich mit allergrößten Ängsten, und seine Frau geriet beim Anblick einer Stadtmauer aus dem späten dreizehnten Jahrhundert in Verzückung. Nina machte ihn zu einem gestrandeten Robinson auf einer einsamen Insel. Sie wurde ihm immer fremder. Die Frage lautete, wie er ihr wieder nahekommen sollte oder, genauer gesagt, ob er es wagen würde, sich selbst wieder nahezukommen.
    »Ich dachte gerade daran, dass ich den ›Elch‹ auf der Fähre getroffen habe«, sagte er dann unvermittelt.
    »Ach«, erwiderte sie.
    Und verstummte abrupt.
    Sie hatten eine der neuen Fähren von Oskarshamn aus genommen. Es war eine ruhige Überfahrt gewesen, auf der Ostsee hatte nur eine milde Brise geweht. Als Bodén seinen Sitzplatz im vorderen Salon verlassen hatte, um auf die Toilette zu gehen, war er mit dem »Elch« zusammengestoßen. Pierre Elgh. Der Name war ihm sofort eingefallen, obwohl seit ihrer letzten Begegnung fast vierzig Jahre vergangen sein mussten. Andererseits hatte es in seiner Kindheit nur wenige Menschen mit einem so exotischen Vornamen gegeben. Seine Mutter war wohl Französin gewesen. Der fremdartige Klang des Vornamens wurde jedoch vom Nachnamen überschattet. Wie immer er sich auch verhielt, Pierre war und blieb der »Elch«. Obwohl seine damals schmächtige Gestalt nur geringe Ähnlichkeit mit dem fraglichen Tier aufgewiesen hatte.
    Der »Elch« hatte also vor ihm gestanden. Er sah aus wie das blühende Leben, inzwischen groß und athletisch, mit blondem, gekräuseltem Haar, das sein Gesicht umrahmte wie ein Heiligenschein, die Augen von dicken Brillengläsern stark vergrößert. Freundlich interessiert, durchaus neugierig betrachtete er Bodén, dessen Gefühle, gelinde gesagt, gemischt waren. Der unvermeidliche Vergleich stand an. Wie war sein Leben verlaufen? So ganz beiläufig.
    »Das ist aber lange her«, begann der »Elch« gut gelaunt.
    »Das kann man laut sagen.«
    Der »Elch« reiste ohne Begleitung, erfuhr Bodén.
    »Ich will über Mittsommer gute Freunde in Sysne besuchen«, sagte er. »Und du?«
    »Meine Frau und ich haben ein Sommerhaus in Tofta«, erwiderte Bodén.
    »Ach, ihr habt ein Haus auf Gotland? Habt ihr das schon lang?«
    »Ja, einige Jahre sind es schon. Erbschaft«, antwortete Bodén, und der »Elch« nickte.
    »Klingt nett«, meinte er, wie es sich gehört.
    Und da musste ihm Bodén natürlich zustimmen. Worauf die nächste obligatorische Frage folgte: »Und was treibst du so?«
    »Gesundheitswesen«, sagte der »Elch« verschmitzt.
    Es war herauszuhören, dass er etwas verschwieg. Gleichzeitig wirkte er recht zufrieden, geradezu selbstbewusst.
    »Tja«, erwiderte Bodén, und ihm war klar, dass der »Elch« vom Laufburschen, der in den Tunneln unter dem Krankenhaus unterwegs war, bis zum Superprofessor alles sein konnte. Letzteres wirkte dann aber doch unwahrscheinlich. Beim »Elch«. Ein heller Kopf war er nicht gerade gewesen. Jedenfalls nicht damals. Seine Miene war in diesem Augenblick jedoch alles andere als ausweichend. Eher arrogant. Das galt auch für seine Kleidung, obwohl diese eher durchschnittlich war, Jeans und Pullover. Es gab jedoch unterschiedliche Arten, seine Kleider zu tragen. Und es gab verschiedene Marken.
    Der Körper verriet, wer man war. Der »Elch« hielt sich sehr aufrecht, fast wie ein Schürhaken.
    »Und du?«, fragte er.
    »Lehrer.«
    Der »Elch« wirkte erst etwas skeptisch, aber dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, und er lächelte und nickte erneut. Er hatte jetzt offenbar den Eindruck, dass es endlich an der Zeit war, ohne falsche Bescheidenheit mit der Wahrheit herauszurücken.
    »Ich bin Arzt.«
    Jetzt war es heraus. Bodén wollte gerade etwas dazu sagen, als sich der »Elch«
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