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Verdacht auf Mord

Verdacht auf Mord

Titel: Verdacht auf Mord
Autoren: Wahlberg
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ausladenden Gesten. Die eine trug ein schickes knallrosa Top mit gelben Rosen.
    Freiheit, dachte er. Sie sind frei. Braun gebrannte Arme, sonnengebleichtes Haar, von einer Haarspange und einem Gummiband zusammengehalten. Die schmalen Nacken der beiden Frauen waren deutlich zu sehen. Weiche Grübchen an der Schädelbasis. Irgendwie wehrlos. Man wollte sanft seine Hand auf sie legen und sie vorsichtig mit den Fingerspitzen streicheln.
    Die eine schaute plötzlich hoch und sah ihn durch die Scheibe direkt an. Als fühlte sie sich beobachtet. Er hielt den Becher mit dem Kaffee weiter vor sein Gesicht, fixierte sie über den Rand hinweg, lächelte aber nicht, obwohl es allen Grund gegeben hätte. Denn sie sah gut aus und hatte dieses seltene Begehren im Blick.
    Kurz darauf hakten sich die Freundinnen unter und verschwanden über die Kyrkogatan im schattigen Lundagård. Er betrachtete ihre Rücken. Die Hübsche bewegte sich kälbchenhaft und leicht o-beinig in ihren flachen rosa Schuhen. Sie verschwanden unter den Ulmen in Richtung Akademiska Föreningen.
    Es war fast zwölf Uhr. Er nahm seine Jacke, zog sie aber nicht an, nickte dem Mädchen hinter dem Tresen zu und verließ das Café. Dann verweilte er eine halbe Minute auf der Straße vor dem Café. Er versuchte herauszufinden, ob er mehr Lust verspürte, den Zeitschriftenlesesaal der Stadtbücherei zu besuchen, oder einfach nur Richtung Süden zum Stortorget flanieren wollte. Ins Gewimmel.
    Er entschied sich für Letzteres. Sein Fahrrad ließ er stehen.
    Mit großen Schritten und ausholenden Armbewegungen eilte er im Zickzack den Bürgersteig entlang. Es war viel los. Er schaute geradeaus. Hatte sich wieder im Griff. Bemerkte mit neu erwachter Aufmerksamkeit eine Gruppe japanischer Touristen, die vor dem grauen, bedrückenden Dom stand. Die Saison war also noch nicht vorüber. Vielleicht konnte man ja auch noch baden. Der Öresund war warm, und das sonnige Wetter hielt an. Vielleicht sollte er ja nach Lomma an den Strand radeln und in einer Mulde die letzten glitzernden Sonnenstrahlen genießen. Oder in der Gerdahalle trainieren.
    Wir werden sehen, dachte er und verschob alle Beschlüsse, sowohl große als auch kleine, auf später.

Erstes Kapitel
Gotland, Donnerstag, 20. Juni,
der Tag vor dem Mittsommerabend
    I n jenem Moment, als sich Jan Bodén mit einer schweren Tüte in jeder Hand aufrichtete, gestand er sich ein, dass er schwankte. Nahm es erstmals zur Kenntnis, ohne sich weit hergeholte Erklärung zurechtzulegen.
    Es fröstelte ihn. Kurz darauf begann er zu zittern. Aber er blieb stehen.
    Bei Lichte besehen, schwankte er eigentlich gar nicht. Ihm war nicht schwindlig, und er stand mit beiden Füßen auf der Erde. Es war ein eher lästiges Gefühl von Ungleichgewicht. Eine spürbare Schwäche. Der einzige versöhnende Umstand war, dass er sich zufällig in der staatlichen Spirituosenhandlung weit weg von zu Hause befand, auf Gotland, genauer gesagt: vor dem östlichen Stadttor Visbys. Außerdem war es der Tag vor dem Mittsommerabend, und alle hamsterten für die Feiertage. Es herrschte Gedränge. Niemand hatte ihn bemerkt, nicht einmal Nina.
    Wo zum Teufel steckte sie bloß?
    Seine Frau hatte bezahlt, ihre Brieftasche zugeklappt, sich dann plötzlich auf dem Absatz umgedreht, an der riesigen Warteschlange vorbeigedrängt, die sie gerade hinter sich gebracht hatten, und den Laden nochmals betreten. Geradewegs wieder hinein ins Gedränge. Hatte sie etwas gesagt, ehe sie verschwand? Etwas, was er nicht gehört hatte, als er schwankend und elend dastand, nachdem er Bier und Branntwein in grüne Plastiktüten gepackt hatte?
    Langsam gewann Bodén sein Gleichgewicht zurück, trat ein paar Schritte zurück, lehnte sich breitbeinig an die Wand bei den Kassen und hielt nach seiner Frau Ausschau. Er wartete geduldig. Darin hatte er langjährige Übung, sie war von Natur aus ein wenig umständlich, was ihn mehr als einmal zur Weißglut gebracht hatte. Jetzt war es jedoch ganz angenehm, ein paar Minuten Zeit zu haben, um wieder auf die Beine zu kommen und ihr somit nichts erklären zu müssen. Es war erniedrigend, Schwäche zu zeigen. Wie er sich fühlte, ging nur ihn selbst etwas an. Vorläufig jedenfalls.
    Wurde er etwa alt?
    Andererseits hatte er es nicht eilig. Er versuchte sich dies einzuprägen, als sei es ein Zitat aus einem Ratgeber. Du hast noch den Rest deines Lebens vor dir. Die Wartezeit wird auch nicht kürzer, wenn man sie mit negativen Gefühlen füllt.
    Er
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