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Verdacht auf Mord

Verdacht auf Mord

Titel: Verdacht auf Mord
Autoren: Wahlberg
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räusperte.
    »Chefarzt«, präzisierte er.
    Der »Elch« hatte also richtig Erfolg gehabt. Er musste wie durch ein Wunder reüssiert haben, seit er die Schule verlassen hatte. Spät gereift, dachte Bodén ein wenig eifersüchtig.
    Der »Elch« hatte es zu Hause nicht so leicht gehabt, soweit er sich erinnern konnte. Der Vater war irgendwie verschwunden. Hatte er sich erschossen? Vielleicht hatte es sich auch um einen Unfall gehandelt. Vielleicht wusste nicht einmal der »Elch«, was genau passiert war. Im Grunde genommen, hatte man nur recht wenig über die familiären Verhältnisse der Klassenkameraden gewusst. Darüber hatten sie auch nicht geredet. Gelegentlich schnappte man von den Eltern etwas auf, wenn diese sich halblaut unterhielten und glaubten, dass ihre Kinder sie nicht hören konnten. So hatte man manchmal doch noch das eine oder andere erfahren. Die Klassenkameraden wussten nur das Nötigste. Bei welchen Müttern man schon mal ein Wurstbrot bekam, bei welchen man vor einem Wolkenbruch Schutz suchen konnte, ohne dass es Proteste gab, welche Väter ein Auto besaßen und welche von diesen ein ungewöhnliches Modell. Ungefähr so viel wusste man und vielleicht noch etwas mehr. Beispielsweise, wer besonders wohlhabend war. Obwohl das nicht viele gewesen waren. Darüber hinaus hatte man sich eigentlich nicht mehr für sonderlich viel interessiert, höchstens für eventuelle Schwestern, als dann dieses Alter gekommen war. Bodén selbst hatte keine Schwester gehabt. Die vom »Elch« war hübsch gewesen. Aber unnahbar.
    Und jetzt standen sie also hier, der »Elch«, der spät erst richtig erwachsen geworden war, und er, der sich nur mit Müh und Not auf den Beinen halten konnte.
    »Familie?«, fuhr Bodén fort.
    »Wir leben getrennt. Wir haben uns auseinandergelebt. Für die Kinder war das nicht so schlimm, die waren den ständigen Streit ohnehin leid«, meinte der »Elch« lakonisch.
    Bodén nickte.
    »Und du?«
    »Ich bin mit Nina verheiratet, falls du dich noch an sie erinnerst.«
    Möglicherweise ließen sich jetzt ein paar rosa Flecken auf den Wangen des »Elchs« ausmachen.
    »Nina Gustavsson aus der Parallelklasse?«
    »Genau«, erwiderte Bodén.
    »Meine Güte, klar erinnere ich mich …«
    Bodén nickte.
    »Alle Achtung. Da müsst ihr ja schon lange zusammen sein«, meinte der »Elch« und lächelte breit.
    Bodén nickte wieder, aber etwas am Tonfall des »Elchs« gefiel ihm nicht. Nina und er waren nicht seit der Schulzeit zusammen, aber er hatte keine Lust, das näher zu erklären. Dass sie noch nicht geschieden waren, beruhte wahrscheinlich einzig und allein auf Trägheit. Auch das sagte er nicht.

    Jetzt saß Bodén am Steuer und fuhr ohne größere Schwierigkeiten rückwärts aus der Parklücke. Das beklemmende Erlebnis in der Weinhandlung war nicht neu gewesen, aber es war sein bisher schwerster Anfall gewesen. Vielleicht war ihm ja sein Gleichgewichtssinn durcheinandergeraten, weil er davor über das Meer geschaukelt war – oder etwas in dieser Art. Es hätte ihn große Überwindung gekostet, Nina zu bitten, sich ans Steuer zu setzen. Der Saab war voll beladen, aber weniger sorgfältig bepackt, da die Kinder nicht mehr dabei waren. Die Rückbank hatten sie einfach mit Einkaufstüten und Taschen vollgestellt.
    Sie kamen am Fußballstadion Gutavallen vorbei, bogen dann ein kurzes Stück in Richtung des südlichen Stadttors ab, dann ging es geradeaus nach Süden weiter, wo sie zwei Kreisverkehre passierten und dann die Stadt hinter sich hatten. Die Insel glich einer Scheibe, die sich aus dem Meer erhoben hatte. Auf dem Felsplateau verlief die Straße Richtung Klintehamn. Das Meer breitete sich rechts von ihnen aus, und die untergehende Sonne verlieh dem Wasser einen silbernen Glanz. Jan Bodén kniff zufrieden die Augen zusammen. Links lagen die Kasernen.
    Er brauchte nicht über den Weg nachzudenken. Sie besaßen das Sommerhaus jetzt schon seit dreißig Jahren. Genauer gesagt: Er besaß es. Er hatte es in sehr jungen Jahren von einer kinderlosen Tante geerbt. Ein Geschenk des Himmels. Anfänglich war ihm das Haus mehr als eine Belastung erschienen. Er hatte die Verantwortung und die Gebundenheit gescheut, das Anstreichen, Laubrechen, Reparieren von Dachrinnen, Ausleeren von Trockenklosetttonnen und das Abstellen der Wasserleitung und das Ausleeren der Pumpe am Brunnen vor dem Winter. Anfangs hatten seine Eltern all dies erledigt, was zeitweilig sehr angenehm gewesen war, aber später hatte er es
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