Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verdacht auf Mord

Verdacht auf Mord

Titel: Verdacht auf Mord
Autoren: Wahlberg
Vom Netzwerk:
nachließ. Ich darf nicht so viel nachdenken, ermahnte er sich. So muss ich es machen, ich muss einfach mein Gehirn ausschalten. Ich muss den Stecker rausziehen, die Festplatte löschen.
    Aber je mehr er sich bemühte, nicht nachzudenken, desto intensiver und rasender arbeitete sein Gehirn. Alles drehte sich im Kreis, und die funkelnden Fahrradlenkstangen vor dem Fenster begannen zu tanzen.
    Außerdem hatte kein Wort über irgendeinen Zettel in der Zeitung gestanden. Er besann sich. Bei näherem Nachdenken stand es recht günstig für ihn.
    Er glitt von seinem Hocker, schloss sich in der Toilette ein und spritzte Wasser auf den Kaffeefleck. Er tat das im Grunde nur, um zu beweisen, dass er sich normal verhielt. Dann stellte er fest, dass es nun aussah, als hätte er in die Hose gemacht, aber das war auch schon egal.
    Das Mädchen hinter dem Tresen nickte ihm freundlich zu, als er zurückkam. Trotz seines erbärmlichen Zustands fiel ihm auf, dass sie gut aussah. Nicht eigentlich hübsch, ihr Aussehen hatte etwas Ungewöhnliches, Fremdes, was er attraktiv fand. Vor allem wirkte sie fröhlich, und das beeindruckte ihn an einem Tag wie diesem. Das beeindruckte ihn eigentlich immer. Sie trug einen schwarzen Pullover, der am Busen eng anlag. Die Schürze war ebenfalls schwarz und eng über die Hüften geknotet. Dünne Silberringe baumelten an den Ohrläppchen, und sie hatte ein kreideweißes Band wie einen Verband fest um den Kopf gewickelt, sodass ihr schwarzes Haar sich im Nacken kräuselte. Ihm drängte sich die Frage auf, wo sie wohl ursprünglich herstammte. Von einer exotischen Inselgruppe in weiter Ferne vielleicht. Aber ihr Schwedisch war akzentfrei.
    Er zwang sich dazu, auf ihre Aufmerksamkeit zu reagieren, er nickte knapp und lächelte sogar. Aber nur ganz hastig. Am besten war es, wenn sie sich gar nicht an ihn erinnerte. Jedenfalls nicht jetzt. Vielleicht konnte er später zurückkommen. Nachsehen, ob sie dann immer noch da war.
    Er nahm wieder Platz und strich mit der Hand über die Zeitungsseite. Dort stand also nichts von einem Zettel. Diese Feststellung war jetzt trockener, nicht so fieberhaft. Er hatte ihm die Botschaft also doch nicht in die Tasche gesteckt. Hatte er es in der Verwirrung vergessen? So sinnlos. Eine Nachricht, die nie ankommen würde. Aber er hatte es doch getan, verdammt noch mal!
    Er spürte bereits, wie leer ihm in absehbarer Zukunft alles vorkommen würde. Es gab nichts, worauf er sich konzentrieren konnte. Was er hin- und herwälzen konnte. Andererseits war es ein Segen, dass er keine unnötigen Spuren hinterlassen hatte. Sinnlos – und trotzdem gut.
    Er stützte sein Kinn in die Hand und sah aus dem Fenster. Seine Gesichtsmuskeln spannten so sehr, dass die Backenzähne schmerzten.
    Die Nacht war feucht gewesen. Die Pflastersteine der Kyrkogatan trockneten allmählich. Die milde Septembersonne würde bald die Fassade des Universitätshauptgebäudes erhellen, sie weißer und konturenreicher machen, und die laue, noch andauernde Wärme würde Gäste zu den Tischen locken, die auf den Gehsteigen und Plätzen standen. Das letzte Seufzen des Sommers.
    Ein fast leerer Bus der Linie zwei donnerte Richtung Norden, nach Annehem. Er war nur ein einziges Mal in Lund Bus gefahren, und zwar als er zwei Tüten mit schweren Büchern nach Hause schaffen musste. Medizinische Fachbücher, richtige Schmöker, die er in drei verschiedenen Antiquariaten für einen Spottpreis erstanden hatte.
    Ein steter Strom von Radfahrern mit Rucksäcken oder Taschen an den Lenkern bog auf dem Weg zum Juridicum um die Ecke der Lilla Gråbrödersgatan. Das Semester hatte gerade begonnen, und die Stadt zeigte sich mit einem Schlag vollkommen verändert, hatte ihren Sommerschlummer abgeschüttelt und Gas gegeben. Erstsemester und schon ältere Studenten, begeistert und erwartungsvoll, waren allerorten. Ein greller Kontrast zu seiner eigenen Befindlichkeit.
    Aber viele würden sich einsam fühlen, dachte er. Innerlich leer. Er wusste, was das bedeutete. Und dass man es ihnen nur schwer anmerken würde, weil alle so jung waren. Man erwartete gemeinhin, dass sie glücklich waren.
    Die Dunkelhaarige mit dem Band im Haar hatte ihm einen neuen Kaffee hingestellt. Er probierte vorsichtig: heiß und stark. Gleichzeitig beobachtete er zwei junge Frauen, höchstens fünfundzwanzig, die draußen auf dem Bürgersteig standen und sich unterhielten. Ihr Lachen drang durch die Fensterscheibe. Sie bewegten sich selbstbewusst, mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher