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Das Alabastergrab

Titel: Das Alabastergrab
Autoren: Helmut Vorndran
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Fisherman’s End
    Edwin Rast war zufrieden –
nein, er war mehr als das: Er war erfüllt von einem einzigartigen, finalen
Gefühl des sicheren Triumphs. Die schier endlose Zeit des zähen Kampfes sollte
nun bald ein Ende finden. Und zwar das gerechte Ende einer gerechten Sache.
Seiner Sache. Das Ziel war fast erreicht. Die letzten Stunden vor dem Showdown
wollte er mit seiner Lieblingsbeschäftigung verbringen, dem Angeln. Denn dabei,
bei der Ausübung seines alles umfassenden Lebensinhaltes, konnte er sich am
besten der Wollust des sicheren Siegens hingeben. Sein Blick fiel auf den
ruhigen Strom des Mains und die federnde Angelrutenspitze. Das war die
Grundlage allen Denkens und Handelns in seinem Leben. An seinem Angelplatz
hatte er sämtliche wichtigen Entscheidungen getroffen, er war die Brutstätte
seines Masterplans fürs Leben, der nun kurz vor seiner Vollendung stand. Edwin
Rast erschauerte. Wenn er angelte, vergaß er die Welt um sich herum. Dann gab
es nur noch ihn und den Fluss und den Fisch.
    Genauso war es schon in
seiner Kindheit gewesen. Bereits als achtjähriger Rotzlöffel hatte er sich aus
Weidenruten und zähem Garn der elterlichen Metzgerei Angelruten gebastelt und
sich dann heimlich fortgeschlichen, um am Main zu fischen. Nicht selten nachts
– und im Gegensatz zu später auch nicht selten erfolglos. Aber das war ihm egal
gewesen. Als ungeliebtes Kind musste man sich seine Zuneigung eben dort suchen,
wo man sie bekam, und für den kleinen Edwin waren es die Fische gewesen, bei
denen er sich geborgen gefühlt hatte. Bald schienen sie seine Gefühle zu
erwidern, denn Rotauge, Barbe und Co. begannen, sich sehr gern und bereitwillig
seinen Ködern zuzuwenden. Woran das lag, konnte niemand so genau sagen, er am
allerwenigsten. Später sollte es kein Wettfischen geben, wo er nicht auf den
vorderen Plätzen landete, keinen rekordgewichtigen Fisch in fränkischen
Anglerhitlisten, über dem nicht sein strahlendes Konterfei prangte.
    Obwohl sein Ableben noch in
ferner Zukunft zu liegen schien, war Edwin Rast bereits ein Mythos. Mit seinen
fünfundvierzig Jahren eilte ihm bereits der Ruf der Übersinnlichkeit voraus. Es
hieß, er könne denken wie ein Fisch. Neben ihm zu angeln, hatte keinen Sinn, so
die allgemeine Überzeugung. Wer nahe Edwin Rast geruhte, seinen Wurm zu baden,
wurde nur milde belächelt, da der gemeine Fisch, gleich welcher Art oder
Herkunft, im übertragenen Sinn bereits an der Edwin’schen Angel Schlange stand,
um von ihm – und nur von ihm – erbeutet zu werden. Wenn am Baggerloch nichts
mehr ging, hatte Edwin natürlich noch einen Biss. Selbst in der dreckigsten
Brühe, bei Hochwasser und zwanzig Grad minus würde er noch einen Dreißigpfünder
aus den Fluten holen. Dessen war sich jeder sicher. Und Edwin Rast am
allermeisten. Jede verdammte Fischgattung, die es am Oberen Main gab, hatte er
schon mit Weltrekordgewicht auf seiner Trophäenliste stehen. Sogar einen Wels.
Nur einer fehlte ihm noch: der Zander.
    Ausgerechnet sein
Lieblingsfisch. Ausgerechnet beim Zander war er nur auf Platz zwei! Eine
Hobbyanglerin aus Nedensdorf, einem lächerlichen Kaff ein paar Kilometer
flussaufwärts, hatte einen Neunzig-Zentimeter-Zander mit sechs Komma acht Kilo
Lebendgewicht im letzten Jahr beim Dorffest aus dem Wasser gezogen.
Unglaublich. Am liebsten hätte Edwin dem Zander einen nächtlichen,
unangemeldeten Besuch abgestattet und ihm ob seiner erwiesenen Blödheit einen
sauberen Anpfiff verpasst, um ihn anschließend wieder zurück ins nasse Element
zu verfrachten, denn der unverdiente neue Rekordhalter war erstens eine Frau
und zweitens eine Anfängerin. Zwei unerträgliche Komponenten für eine
Bestleistung in der Angelwelt. Das Weibsbild hatte den kapitalen Fang ja noch
nicht einmal selbst hochheben, geschweige denn wiegen können, schimpfte Edwin stets
den versammelten Kollegen vor. Wahrscheinlich kannte sie nicht mal die
Fischart, die da an ihrem Haken gehangen hatte. Was für eine Schande. Aber auch
das würde bald nur noch Fischereigeschichte sein. Denn ganz in seiner Nähe
schwamm bereits der Königsfisch herum, das Meisterstück. Der Ottfried Fischer
unter den Schuppenträgern. Zwei Mal schon hatte er ihn springen sehen. Ein
Zander wie aus dem Bilderbuch, wie für einen Ewigkeitsrekord zusammengebastelt.
Allerdings schien er ziemlich alt zu sein und verhielt sich dementsprechend
gerissen und extrem vorsichtig. Als Mensch hätte dem Vieh wahrscheinlich noch
eine große politische
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