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Verbotene Früchte im Frühling

Titel: Verbotene Früchte im Frühling
Autoren: Lisa Kleypas
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PROLOG
    „Was Daisys Zukunft angeht, habe ich eine Entscheidung getroffen“, verkündete Thomas Bowman seiner Frau und seiner Tochter. „Obwohl die Bowmans nicht gern eine Niederlage eingestehen, können wir vor der Wahrheit nicht länger die Augen verschließen.“
    „Welche Wahrheit meinst du, Vater?“, fragte Daisy.
    „Du bist für den britischen Adel nicht bestimmt.“ Stirnrunzelnd fügte Bowman hinzu: „Oder vielleicht der Adel nicht für dich. Meine Investitionen in deine Suche nach einem Ehemann haben sich nicht ausgezahlt, Daisy. Weißt du, was das bedeutet?“
    „Ich bin eine Aktie mit schlechter Rendite?“, vermutete sie.
    In diesem Moment hätte kaum jemand geglaubt, dass Daisy eine erwachsene Frau von einundzwanzig Jahren war.
    Klein, schmal und dunkelhaarig, besaß sie noch immer die Lebhaftigkeit und den Übermut eines Kindes, während andere Frauen ihres Alters schon strenge junge Matronen geworden waren. Wie sie so mit angezogenen Knien dasaß, wirkte sie eher wie eine Porzellanpuppe, die jemand in der Ecke der Polsterbank vergessen hatte. Es ärgerte Bowman, dass seine Tochter ein Buch auf den Knien hielt und einen Finger als Lesezeichen zwischen die Seiten geschoben hatte. Offensichtlich konnte sie es kaum abwarten, dass er mit seiner Ansprache fertig wurde, damit sie weiterlesen konnte.
    „Leg das weg“, verlangte er.
    „Ja, Vater.“ Unauffällig öffnete Daisy das Buch noch einmal so weit, dass sie sich die Seitenzahl einprägen konnte, und legte es dann zur Seite.
    Die kleine Geste machte Bowman noch wütender. Bücher, Bücher, nichts als Bücher – der bloße Anblick schien ihm ein Sinnbild für das blamable Versagen seiner Tochter auf dem Heiratsmarkt zu sein.
    Bowman saß auf einem luxuriös gepolsterten Stuhl im Salon der Hotelsuite, die die Familie seit mehr als zwei Jahren gemietet hatte, und rauchte eine dicke Zigarre. Seine Frau Mercedes hockte auf einem Rohrstuhl direkt daneben. Bowman war ein gedrungener, stämmiger Mann, dessen Wuchs ebenso bullig wirkte wie sein Verhalten.
    Zwar hatte er eine Glatze, trug aber einen üppigen braunen Schnauzbart, was den Eindruck erweckte, dass die gesamte Energie seiner Haare vom Kopf auf die Oberlippe ausgewichen war.
    Als Mercedes ihn geheiratet hatte, war sie ein außergewöhnlich schlankes Mädchen gewesen, und mit den Jahren war sie immer dünner geworden, wie ein Stück Seife, das sich allmählich auflöste. Ihr glattes schwarzes Haar trug sie immer straff zurückgekämmt, und ihr Kleid schmiegte sich so eng um ihre Gestalt, dass sie aussah, als könnte Bowman sie mit einer einzigen Bewegung zerbrechen. Selbst wenn sie wie jetzt vollkommen still saß, vermittelte Mercedes den Eindruck nervöser Unruhe.
    Bowman hatte nie bedauert, Mercedes geheiratet zu haben – ihr unbeirrbarer Ehrgeiz entsprach dem seinen. Sie war eine unnachgiebige Frau voller Ecken und Kanten, die ständig darum bemüht war, den Bowmans einen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Mercedes war es auch, die darauf bestanden hatte, die Mädchen nach England zu bringen, nachdem sie es nicht geschafft hatte, in die gute Gesellschaft New Yorks vorzudringen. „Wir werden einfach über sie hinwegschreiten“, hatte sie entschlossen erklärt. Und bei ihrer älteren Tochter Lillian war den Bowmans das auch wirklich gelungen.
    Irgendwie hatte es Lillian geschafft, den besten Fang von allen zu machen, nämlich Lord Westcliff zu heiraten, dessen Stammbaum so viel wert war wie pures Gold. Der Earl hatte für die Familie einen echten Gewinn bedeutet.
    Aber jetzt wartete Bowman ungeduldig darauf, nach Amerika zurückzukehren. Wenn Daisy einen blaublütigen Ehemann hätte bekommen sollen, dann wäre ihr das inzwischen gelungen. Es war an der Zeit, die Verluste wettzumachen.
    Wenn er über seine fünf Kinder nachdachte, fragte sich Bowman, woran es lag, dass sie ihm so wenig ähnlich waren. Mercedes und er, sie waren beide so umtriebig, und doch hatten sie drei überaus sanftmütige Söhne bekommen, die die Dinge stets so hinnahmen, wie sie waren, und die überdies in der festen Vorstellung lebten, dass alles, was ihr Herz begehrte, ihnen ohne jedes Zutun einfach in den Schoß fallen würde. Lillian schien die Einzige zu sein, die ein wenig von Bowmans Aggressivität geerbt hatte. Aber sie war eine Frau, und daher war diese Eigenschaft an sie vollkommen verschwendet.
    Und dann war da noch Daisy. Von all seinen Kindern war Daisy immer diejenige gewesen, die Bowman am
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