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Venus allein zu Haus

Venus allein zu Haus

Titel: Venus allein zu Haus
Autoren: Voosen Jana
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schleichen, aber ich kann meine Kotze hier nicht einfach so stehen lassen. Auch wenn dieser Michael das vielleicht verdient hatte. Wo steckt der eigentlich? Ich halte die Luft an und greife nach dem Eimer. Dann gehe ich zur Tür und betrete einen lang gezogenen Flur, der mit graublauem Teppich ausgelegt ist. Drei Türen gehen davon ab, alle geschlossen. Ich öffne eine von ihnen, und siehe da, es ist das Badezimmer. Ich entsorge also meinen Mageninhalt, spüle den Eimer im Waschbecken aus und meinen Mund gleich mit und sehe mich dann im Spiegel an. Die Haut ist fahlgelb, auf der Stirn wächst ein riesiger Pickel und meine Augen sind so geschwollen, als hätte ich die ganze Nacht durchgeheult. Habe ich das? Das Make-up ist verschmiert, die Haare am Ansatz fettig und in den Spitzen zerzaust. Ein Albtraum. Wenn ich so von einem meiner Kunden gesehen würde, könnte ich mir sofort einen anderen Job suchen. Denn ich bin eine Typberaterin. Einkaufsgehilfin, Stylistin, manchmal persönliche Trainerin, was immer Sie brauchen,
um sich selbst zu verbessern, zu perfektionieren, kurz: um das Beste aus sich rauszuholen. Das bin ich. Vielleicht sollte ich ein Foto von mir in meinem jetzigen Zustand machen, die Augen hinterher mit einem schwarzen Balken abdecken und das Bild meinen Kunden als abschreckendes Beispiel dessen zeigen, was Alkohol aus einem Menschen machen kann. Ach nein, lieber nicht. Mir fehlt sowieso der Elan zu irgendetwas. Wahrscheinlich werde ich nie wieder arbeiten. Jan schleicht sich wieder in meine Gedanken. Dieser Mistkerl! Er ist an allem schuld! Wenn ich mir bei diesem Michael jetzt eine Geschlechtskrankheit eingefangen habe, dann werde ich Jan persönlich dafür zur Verantwortung ziehen. Ich will lieber nicht daran denken, wie einen Syphilis-Ausschläge entstellen können. Von den tödlichen Folgen mal ganz abgesehen.
    Ich lasse den Eimer mitten im Raum stehen und verlasse das Bad. Eigentlich wollte ich zurück ins Wohnzimmer, mir meine Tasche schnappen und abhauen, doch plötzlich stehe ich mitten in einer urgemütlichen, weiß-blauen Küche. Es duftet nach frisch gebrühtem Kaffee und getoastetem Weißbrot. Vier Augen, zwei dunkelbraune und zwei blaue, sehen mich an und vier Zahnreihen (sehr weiß, bestimmt gebleicht) entblößen sich bei meinem Anblick. Michael und …?
    »Das ist Nick.« Einen Mitbewohner hat er also auch noch. Und der hat wahrscheinlich alles gehört. Oder selber mitgemischt? Ich wünschte, ich könnte mich an irgendetwas erinnern. Oder nein, vielleicht doch besser nicht.
    »Hallo«, murmele ich verschämt. Nick erhebt sich halb von seinem Hocker, reicht mir die Hand und streicht sich dabei mit der anderen eine rotblonde Locke aus der Stirn.
    »Freut mich.«

    »Komm, setz dich«, sagt Michael freundlich und schiebt mir einen Hocker hin, »möchtest du Kaffee?« Etwas verunsichert stehe ich in der Gegend herum. Ich habe keinerlei Erfahrung mit solchen Situationen. Eigentlich möchte ich nur so schnell wie möglich hier verschwinden. Mein Blick fällt auf die gelbe Wanduhr. Fast halb zehn. Unter der Uhr steht eine Kaffeemaschine. Ein richtiges High-Tech-Gerät mit allem Drum und Dran. Zaubert bestimmt ganz tollen Schaum. Na schön, ein schneller Kaffee, was soll’s? Ach du Schande. Siedend heiß fällt mir Frau Biergarten ein, mit der ich in einer guten halben Stunde verabredet bin. Beruflich, versteht sich. Verdammt! Es handelt sich um einen ersten (und damit ungeheuer wichtigen) Termin. Stellt sich die Frage, was schlimmer ist: alles eine halbe Stunde vorher platzen zu lassen oder aufzukreuzen und auszusehen, als hätte man die ganze Nacht gesoffen und sich von einem Fremden durchvögeln lassen.
    »Ich muss kurz telefonieren. Mach mir doch schon mal nen Kaffee«, sage ich zu Michael, der ob meines unbeabsichtigten Befehlstons erst ein verblüfftes Gesicht macht und dann mit rauchiger Stimme sagt:
    »Natürlich, Meisterin, kommt sofort! Zu Ihren Diensten bei Tag und bei Nacht.« Er wirft Nick ein breites Grinsen zu und wendet sich der Kaffeemaschine zu. Irritiert starre ich auf seinen breiten Rücken. Was zum Teufel ist hier heute Nacht abgegangen? Helen, Frau Biergarten wartet. Oh, richtig, danke, Sophia. Ich werde mich jetzt sofort darum kümmern. Ich stolpere aus der Küche, nehme die nächste Tür, aha, das hier ist das Wohnzimmer und krame in meiner Tasche nach meinem Handy. Ich habe nicht mal eine Mobilfunknummer von Frau Biergarten. Aber nach dem zweiten Klingeln geht sie an
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