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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily
Autoren: Jürgen Saarmann
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habe keine Lust auf morgen.
    Weißt du, was morgen ansteht? Eine Erbauungsgeschichte für den Pfarrer und eine Verdauungsgeschichte für die Bäcker. Toll, was? Wie bitte? Nein, wirklich. Du bist hoffnungslos betrunken und sinnlos sentimental. Ja ja, ich weiß, wir sind Freunde. Aber nicht in dem Stil der Drei Musketiere. Das ist doch nur eine romantische Verklärung, eine frivole Erfindung, um einem zweitklassigen Abenteuerroman mit dem Prickeln anrüchiger Erotik aufzuhelfen. Das geht nicht, und ich will das nicht. Außerdem ist sie sowieso nicht da. Und wenn, dann würde sie nicht wollen. Sie will dich. Du bist der Künstler, der Erfolgreiche, der Liebhaber von damals. Ich bin nur ein gescheiterter Reporter und unfähiger Impresario.
    Au scheiße, das war mein Glas. Kaputt! Egal, war sowieso leer. So kleine Teile da unten. Arme kleine Teile. Hallo. Ja, ja. Bitte sehr. Bitte sähr. Willst du auch noch? Klar, zwei. Also nochmal dasselbe, ja? Danke. Wo war ich. Ach so, bei deinem Angebot. Ich will etwas Ganzes, Vollständiges. Nicht nur eine Nacht, für die sic h hinterher jeder Beteiligte hasst. Lass nur, mein Lieber. Mir geht es eigentlich recht gut. Ich habe eine berufliche Perspektive, was will man mehr. Und das Private wird sich auch schon wieder geben. Hey, hey. Du hast nun wirklich keinen Grund, traurig zu sein. Hör auf zu trinken. Du hast eine Trennung glücklich hinter dich gebracht. Das muss man erst einmal können. Ich bin hinterher immer unglücklich.
    Oh, schau mal. Da kommt Henry. Kennst du Henry? Einer meiner Nachbarn. Der war noch nie hier. Komm her, Mann! Setz dich zu uns. Das ist Theiresias. Sein wirklicher Name? Wieso? Keine Ahnung. Ist doch egal. Also, Theiresias, das ist Henry. Ein Freund und Nachbar. Ist Jack zurück? Immer noch nicht. Na ja, vielleicht säuft er gerade einen niedlichen Matrosen unter den Tisch. Sorry.
    Ich bin betrunken. Und noch ein wenig mehr. Was? Wen hast du getroffen? Meine Verflossene? Hey, Theiresias, welche meint er? Ha. Du musst schon ein paar Details rausrücken. Die letzte? Martha. Wo? Wann? Was hat sie gesagt? Sieht so deine Rache aus? Ich konnte doch gar nichts dafür. Ehrlich? Sie kommt also her. Mann, ich habe zu viel getrunken. Ich verschwinde. Gibt es einen Hintereingang? Oder Ausgang? Wenn sie mich so sieht, geht sie gleich wieder. Ich sehe aus wie ein Penner, rede wie ein Penner nach einem Hektoliter Martini und rieche bestimmt wie ein Penner, der die zwölfte Nacht unter einer Brücke verbracht hat. Hat Hitler nicht auch so angefangen?
    Oh Mann, das hätte meine Chance sein können. Brücken bauen, winseln, auf den Knien herumrutschen. Weinen. Ja, sogar das hätte ich fertiggebracht für diese Einzige, Einmalige. Für meine Fee, meine Sonne, mein Behagen in der Kultur. Wisst ihr denn nicht, dass das Abendland untergeht? Es kommen schwere Zeiten auf uns zu, meine Freunde. Das Morgenland zückt sein Krummschwert, um unserer Zivilisation eins aufs Dach zu geben. Die Barbarei ist schon in die Nachbarschaft eingerückt. Da werden Köpfe und Gliedmaßen abgeschnitten, Frauen zwangsweise verschleiert und Kinder in Unwissenheit versenkt. Oh, die schönen Frauen! Und wir sind so wehrlos in unserer Gewaltfreiheit. Über unsere sogenannten Stärken lachen die doch nur. Menschlichkeit, Demokratie, Kompromisse!
    Oh, danke dir, Molly. Ja ja, ich weiß. Schaum schäumt. Macht das Trinken schwer. Und sieht im Gesicht so komisch aus. Ja, danke. Hoffentlich kommt sie nicht gleich. Ich muss erst noch dieses Bier hier trinken. Wisst ihr was? Ich liebe euch beiden. Ihr seid meine einzigen Freunde. Wo sind eigentlich die anderen, Theiresias? Die von früher? Abelard. Heloise. Nosferatu. Hump. Und natürlich der Anselm Christlein. Alle tot, oder was? Prost. Ist ja auch egal. Was ich sagen wollte. Hey, wackel nicht an meinem Stuhl. Bist du gar nicht? Aber er wackelt doch! Wisst ihr, was die Kröte zu mir sagte? Ihr erratet es nicht. Sie hat mich eingeladen. Sie zu besuchen. Bestimmt noch so eine Aufforderung zur Unzucht. Oh, sorry, Henry. Vergiss es. Ich meine es nicht böse. Ich verspreche dir: Morgen in der Geschichte für den Pfarrer werde ich inkognito Buße tun. Liest du das Blättchen? War mir klar. Ich auch nicht. Aber irgendwer muss es doch lesen, sonst würde es nicht gedruckt, oder? Ja, stimmt auch wieder. Diese Handzettel werfe ich auch immer gleich in den Müll.
    Oh oh, der Morgen wird sauer werden. Halt! Vielleicht ist sie es! Ach nein. Nur der Schreiber und sein
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