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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily
Autoren: Jürgen Saarmann
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herunterzuspringen. Da, wo er mit seinem tolpatschigen dicken Fuß landete, befand sich zufällig die Hütte, in der der Typ schlief. Sie brauchten einen Helikopter, um ihn herauszuholen. Ziemlich unwegbare Gegend. War natürlich mausetot.
    Wilma hättest du hören sollen! Er hat nämlich ein Testament aufgesetzt, in dem er sein Erbe den Anhängern des Müllerismus vermacht. Natürlich erbt er als Toter gar nichts mehr. Aber das weiß Wilma nicht, und darum ist sie sofort zum Anwalt gegangen, um ihn posthum für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Witzig, oder? Das Gute an der Geschichte ist, dass sie als trauernde Witwe von seinen Eltern den ihm zustehenden Anteil erhält. Hat mir ein Freund erzählt, der als Anwalt mit dem Nachlass zu tun hat. Und damit verringert sich die Last, die bislang ich allein zu tragen hatte.
    Hey, wo bleibt das Bier, Molly? Was meinst du? Mir doch egal, wie sie heißt. Mädchen wie diese heißen bei mir Molly. Oh, toll haben Sie das gemacht. Wo ist denn der Schaum? Aha. Stimmt. Stört nur beim Trinken. Ja. Ach schau mal. Geschichten, die das Leben schrieb. Der Schreiberling mit seiner Spartanerfreundin. Waren auch auf der Vernissage. Weißt du übrigens, wer das Mädel angeblich ist? Die Schwester von Wilma. Nicht die geringste Ähnlichkeit. Ich habe sie damals nicht kennengelernt. Sie galt als nicht präsentabel. Dabei, wenn ich sie mir heute so anschaue. Schon sehr attraktiv, oder? Auf eine herbe, irgendwie kriegerische Art. Das bringt mich auf Martha. Die konnte bei aller Fraulichkeit manchmal auch so sehnig wirken. Habe ich dir jemals von ihr erzählt? Nein?
    Martha war für mich die Spiegelung der Welt in einer Person. Nicht die Fälschung – das ist von Gaddis. Entschuldige, wenn ich so geschwollen rede. Es ist noch nicht lange vorbei, und ich leide immer noch unter dieser Trennung. Sie ist auf eine nette Art sehr hübsch, sehr lieb und sehr fröhlich. Ich lernte sie bei einem Rockkonzert kennen. Die Art von Event, bei der Mädchen eher selten zu finden sind. Fulminantes Gedröhn, cooles Stargetue, eine schwitzende Menge düsterer Jungs in schwarzen Lederjacken, zwischen denen sich eine aggressive Energie zu Nichts zerreibt. Und fliegende Bierbecher, zum Glück aus Plastik. Diese Art gelassener Ekstase, die seit den achtziger Jahren irgendwie Mode geworden ist. Ich
    stehe mittendrin und erhasche plötzlich einen Augenglanz, eine blonde Haarsträhne, die aus der Stirn gestrichen wird, einen vollendet geformten nackten Arm. Manchmal reicht ja so ein zufälliger optischer Reiz, um eine ganze Maschinerie in Gang zu setzen.
    Ich sprach sie ziemlich plump an, holte ihr ein Bier und beschützte sie vor einem wildgewordenen Ausdruckstänzer. Sie war von ein paar Bekannten überredet worden, sie zu begleiten. Indie-Musik nannte man diesen manchmal schönen Lärm wohl damals. Ihre Freunde hatten sich bis zu den Boxen vorgeschoben, um die krachenden Dezibel am Ort des Entstehens zu inhalieren. So stand sie ein wenig verlassen in der heißen Halle inmitten eines Rituals, mit dem sie nicht viel anzufangen wusste.
    In der kurzen Pause vor der Zugabe gingen wir. Wir setzten uns in irgendeinem Park auf eine Bank und redeten, bis es hell wurde. Dann brachte ich sie nach Hause. Du kennst diese alberne Fabel von den zwei Hälften, die zusammenfinden müssen, um ein Ganzes zu bilden. Dieses romantische Gefühl hatte ich bei ihr. Wir ließen uns Zeit mit dem Kennenlernen, tauschten uns aus, tasteten uns aneinander heran. Wir waren ge duldig. Das lag nicht daran, dass die äußeren Umstände uns dazu nötigten, sondern weil wir neugierig aufeinander waren. Etwas war in ihr, das genau und in Ruhe erkundet werden musste.
    Hast du das jemals erlebt? Ein ruhiges, gl ückerfülltes Werben, ohne dass dich die Libido aus dem Rhythmus bringt. Ein wohlwollendes, helfendes Seinlassen, das Ehepaare sich mit viel Glück nach einigen Jahren Ärger und Streit gegenseitig bescheren. War mir vorher noch nie passiert. Eine wunderbare Zeit, sage ich dir. Irgendwann kam ganz natürlich und völlig ungeplant der Zeitpunkt, an dem wir auch die Nacht zusammen verbrachten. Glaub mir, es war anders. Ich weiß, diese Geschichte erzählen alle Verliebten. Und machen doch dasselbe. Aber zwischen uns gab es eine Harmonie, ein gemeinsames Empfinden, ein andauerndes zartes Tasten. Bist du auch da? Passt du auch immer auf mich auf? Himmel, wie schön das war. Aber eines Abends, als ich mich schon ein wenig an sie gewöhnt hatte,
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