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Vanilla aus der Coladose

Vanilla aus der Coladose

Titel: Vanilla aus der Coladose
Autoren: Eva Hierteis
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guckten. Oh nein: Moscheenflitzer . . . die kannte Laili von ihrer Mutter!
    »Wer . . . was . . . wie . . . warum?«, stammelte Laili, um dann noch sinnloserweise hinzuzufügen: ». . . bist du?«
    »Ich heiße Vanilla«, sagte das Mädchen.
    »Ah«, machte Laili mit offenem Mund. Gut, das Mädchen hatte einen Namen, aber das erklärte nicht wirklich viel.
    »Ich bin ein Dschinn«, sagte Vanilla, als hätte sie Lailis Gedanken gelesen. »Wir wohnen in Flaschen, fliegen auf Teppichen, erfüllen Wünsche und so weiter und so fort.«
    »Oh.« Lailis Mund ließ sich noch immer nicht schließen.
    »Dschinn. Fla-schen-geist. Ka-piert?« Die Stimme des Mädchens nahm einen ungeduldigen Tonfall an.

    Also unverschämt musste diese Vanilla jetzt auch nicht werden, mitten in der Nacht in
ihrem
Zimmer. »
Dosen
geist«, gab Laili spitz zurück, »trifft es wohl eher.«
    Das Mädchen lachte. »Auch wenn ich in einer Coladose wohne, bin und bleibe ich doch ein Flaschengeist«, erklärte sie schon wieder viel freundlicher. Wenn sie lachte, bekam sie bezaubernde kleine Grübchen. »Weißt du, ich bin eben ein neuzeitlicher Flaschengeist und bevorzuge modernes Wohnen. Deshalb hause ich auch nicht wie mein Onkel Pedram in so einer ollen, öligen Lampe, sondern eben in einer Coladose. So eine Dose ist einfach diskret und schön undurchsichtig. Da kann einem nicht jeder reinglotzen. Und ohne viel Schnackschnick.«
    »Schnickschnack«, verbesserte Laili sie.
    »Sag ich doch«, sagte Vanilla. »Schnackschnick.«
Flaschengeist. Dose. Modernes Wohnen. Onkel Pedram. Lampe.
Laili wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Aber sie machte sich umsonst Gedanken.
    »Jetzt hab ich erst mal einen Hungerbären, oder wie man sagt«, plapperte Vanilla schon weiter. »Ich könnte einen ganzen Basar leer futtern.« Sie sah Laili auffordernd an. »Weißt du, Materialisieren ist echt anstrengend und macht unheimlich hungrig.«
    »Materialisieren?«, echote Laili.
    »Na ja: erscheinen, Gestalt annehmen, groß werden. Nenn es, wie du willst.« Vanilla machte eine ausladende Handbewegung.
    »Ach so, klar«, sagte Laili. »Verstehe.« Das mit dem Großwerden fand sie auch manchmal anstrengend. Aber wenn sie ihre Eltern anschaute, hatte sie das Gefühl, dass Groß
sein
noch viel anstrengender war . . .
    »Mit der Gastfreundschaft ist es bei euch wohl nicht weit her, wie?«, fragte Vanilla.
    Laili zuckte zusammen und ließ schnell ihre Decke los, an die sie sich geklammert hatte. »Äh . . . ja, entschuldige. Ich mach dir was zu essen.« Sie zögerte. Was bot man einem Geist an? »Ein Brot vielleicht?«
    Vanilla nickte gnädig. »Brot ist gut. Aber
eins
ist schlecht.«
    »Hä?«
    »Zwei sind besser. Oder drei.« Das Flaschengeistmädchen grinste.
    Laili schwang die Beine aus dem Bett und tapste mit nackten Füßen zur Tür. Sie steckte den Kopf hinaus und lauschte. Alles ruhig. Bis auf das regelmäßige Schnarchen ihres Vaters aus dem Arbeitszimmer. Dort schlief er, seit ihre Mutter kurz vor dem Urlaub bei einem Workshop mit dem Namen
Finde dich im Selbst und Ich – Sei bereit durch Achtsamkeit
ihre Achtsamkeit zu sehr auf einen der anderen Teilnehmer konzentriert hatte. Jedenfalls rief danach tagelang ein afrikanischer Trommler an. Zweimal war er sogar mit Blumen vor der Tür gestanden. Seitdem herrschte zwischen Lailis Eltern Eiszeit. Und Bernd schlief (und schnarchte) auf dem Dichtersofa.
    »Die Luft ist rein«, flüsterte Laili Vanilla über die Schulter zu und tippelte auf leisen Sohlen über den Flur voran, während der Flaschengeist lautlos hinter ihr herglitt. Aus einer Steckdose am Boden grinste sie das runde gelbe Gesicht eines Smiley-Nachtlichts an und verbreitete seinen Schummerschein.
    Moment mal! Laili lauschte. Sie hörte nur das Tappen ihrer
eigenen
Füße. War doch alles nur ein Traum? Sie wollte sich gerade in den Arm zwicken, um das herauszufinden, als sie gegen den Rahmen der Küchentür lief.
Bumm!
Der Schmerz, der durch ihre lange Mittelzehe jagte, fühlte sich sehr, sehr echt an. Laili unterdrückte einen Aufschrei und bewältigte die letzten Meter zum Kühlschrank auf einem Bein hopsend. Sie hielt sich am Griff der Metalltür fest und rieb sich auf einem Bein stehend die Zehe.
    »Verkackter Blödmist!«, schimpfte sie. »Was willst du denn aufs Brot, Vanilla?«
    »Keinen Blödmist jedenfalls. Lieber Wurst. Und Fleischbällchen.«
    »Wir haben keine Leichen im Kühlschrank«, sagte Laili und klang schon wie ihre Mutter.
    Zur Abwechslung
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