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Vanilla aus der Coladose

Vanilla aus der Coladose

Titel: Vanilla aus der Coladose
Autoren: Eva Hierteis
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sagte – heraus und feuerte ihn hinter sich. Dann wühlte sie sich wie ein Maulwurf tiefer und tiefer zum Grund der Tasche vor und zog mit einem triumphierenden Lächeln eine alte Coladose heraus. Was an einer ollen, verbeulten Coladose so toll war? Ganz einfach: Coladosen waren Lailis große Leidenschaft. Sie hatte schon eine beachtliche Sammlung, die sich hoch an der Wand ihres Zimmers stapelte – der einzige Farbtupfer in dem sonst frischkäseweißen Raum. Diese Dose hier war ein ganz besonderes Stück. Laili lächelte sie zärtlich an. So eine hatte sie noch nie gesehen, geschweige denn besessen. Sie musste schon ganz alt sein, vermutlich eine Sonderedition. Wie besonders die Dose war, das ahnte allerdings nicht mal Coladosenexpertin Laili.
    Sie strich mit dem Zeigefinger darüber und klopfte fachmännisch dagegen. Klang gut. Ein bisschen dumpf vielleicht. Die Dose war erstaunlich leicht – und das, obwohl sie ungeöffnet war. Aber Laili dachte sich nichts dabei. Sicherlich war das Cola in all den Jahren verdunstet.
    An zwei Stellen hatte sie schon Rost angesetzt. Laili nahm ein Taschentuch, spuckte es an und begann, den Rost, so gut es ging, abzurubbeln. Sie hatte die Dose im Urlaub auf einem Ausflug entdeckt, am Fuß einer steilen Böschung am Rande der Autobahn. Laili hatte so lange gefleht, gebettelt und genölt, bis Bernd schließlich nachgegeben hatte und unter Lebensgefahr mit seinen Birkenstocks den von Geröll übersäten Abhang halb hinuntergeklettert und halb hinuntergeschlittert war, um sie ihr zu holen. Laili polierte die Dose, bis sie glänzte. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ein leises Rauschen zu hören. Sie runzelte die Stirn. Bei Muscheln konnte man das Meeresrauschen hören. Ob man bei Coladosen, die lange an der Autobahn gelegen hatten, auch das Motorenrauschen hören konnte? Sie legte ihr Ohr an das kühle Blech und lauschte. Ja, ein ganz, ganz leises Rauschen, das an- und wieder abschwoll. Oder?
    Laili schüttelte entschieden die Wuschellocken. »Quatsch!«, sagte sie laut, stand auf und ging zu ihrer Dosensammlung. Immer eine Dose stand über zwei anderen, sodass eine spitze Pyramide entstanden war, die ihr bis über den Kopf reichte. Unschlüssig blieb sie davor stehen. Meine 99. Dose, dachte Laili stolz. Das ungewöhnlichste Stück der Sammlung. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und setzte die Dose behutsam ganz oben auf die Pyramidenspitze.
    Doch dort würde die Coladose nicht lange bleiben. In ihrem Inneren hatte das leise Rauschen aufgehört. Es war allerdings gar kein Rauschen gewesen, sondern ein zartes Schnarchen. Nun war es verstummt, als würde der Schnarcher die Luft anhalten. Und lauschen.

L aili warf sich hin und her.
    Her und hin.
    Die oberste Dose auf der Pyramide wackelte.
    Laili grunzte im Schlaf. »Zuenghierdrin«, murmelte sie. Und dann: »Wegda. Wegduda. WEGIHRDA!«
    Die oberste Dose wackelte.
    Laili fuchtelte im Schlaf mit den Armen. Ein Bein fuhr unter der Decke heraus. Dann warf sie sich auf die andere Seite.
    Die Decke raschelte.
    Das Bett quietschte.
    Die oberste Coladose wackelte.
    »Weg, ihr Hosenmonster!«, nuschelte Laili. Sie wollte schreien, brachte aber keinen Pieps heraus.
    Laili träumte. Sie saß zusammengekauert im Finstern in einer Ecke ihres Zimmers. Vor ihr ragte ein Berg von Frau Speckfetts Riesenunterhosen auf. Doch dann kam plötzlich Bewegung in den Stoffberg und ein Schlüpfer nach dem anderen reckte und streckte sich. In der Düsternis leuchteten grellgelbe, böse Augen und lange gelbe Zähne blitzten in breiten, runden Mäulern.
    Dann kamen sie langsam näher, zogen den Kreis enger und enger – und stürzten sich auf sie. Laili wollte wieder schreien, bekam aber keine Luft. Sie schmeckte Stoff im Mund, japste mit erstickter Stimme . . .
    . . . und erwachte von ihrem eigenen Röcheln. Im Mund hatte sie eine Ecke ihres Kopfkissens. Es dauerte einen Moment, bis sie verstand, wo sie war. Dann spuckte sie angewidert den Schnürpfel des Kissenmonsters aus. Sie setzte sie sich im Bett auf, strich sich die wirren Wuschelhaare aus dem Gesicht und sah sich ebenso wirr um. Nur sicherheitshalber. Aber von gelben Unterhosenmonstern war weit und breit keine Spur. Die spukten höchstens in der Wohnung unter ihr, bei Frau Speckfett. Bei diesem Gedanken musste Laili lächeln und ihr Kollerdiepolterherz beruhigte sich wieder. Was für ein furzdoofer Traum!

    Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, dass es zwei Minuten vor zwölf war. Mitten in der Nacht.
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