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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich
Autoren: Theodor Fontane
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Nesseln standen und zerschnittene Stämme hochaufgeschichtet lagen, und als die vordersten daran vorüber waren, bog der Zug in das Portal ein und bewegte sich, zwischen Gräbern hin, auf die Kirche zu, die weit aufstand und einen freien Blick auf den erleuchteten Altar am Ende des Mittelganges gestattete.
    Da stand Petersen.
    Er war hinfällig gewesen all die Zeit über, und zu der Last seiner Jahre war schließlich auch noch die Last schwerer Krankheit gekommen. Als er aber vernommen hatte, daß »Schwarzkoppen, wenn Petersen bis Johannistag nicht wieder genesen sei, die Traurede halten solle«, da war er wieder gesund geworden und hatte denen, die zu Vorsicht und Schonung mahnen wollten, beteuert, daß er, und wenn's vom Sterbebett aus wäre, seine geliebte Christine wieder zum Glücke führen müsse. Das hatte alle Welt gerührt, ihm aber die Kraft seiner besten Jahre wiedergegeben, und da stand er nun so grad und aufrecht wie vor neunzehn Jahren, als er, auch an einem Johannistage, die Hände beider ineinandergelegt hatte.
    Gesang hatte begonnen im selben Augenblicke, wo der Zug in den Mittelgang eintrat, und als das Singen nun schwieg, nahm Petersen zu kurzer Rede das Wort, alles Persönliche vermeidend, am meisten aber jeden Hinweis auf den »Ungerechten, über den mehr Freude sei im Himmel als über hundert Gerechte«. Statt dessen rief er in einem schlichten, aber gerade dadurch alle Versammelten tief ergreifenden Gebet die Gnade des Himmels auf die Wiedervereinten herab und sprach dann den Segen.
    Und nun fiel die Orgel ein, und die Glocke draußen hob wieder an, und der lange Zug der Trauzeugen nahm jetzt den Rückweg dicht am Strande hin und stieg, als man den zur Dampfschiff-Anlegestelle führenden Brettersteg erreicht hatte, links einbiegend die Terrasse nach Schloß Holkenäs hinauf.
    Da war die hochzeitliche Tafel unter der vorderen Halle gedeckt, derart, daß alle Gäste den Blick auf das Meer hin frei hatten, und als der Augenblick nun gekommen war, wo, wenn nicht ein Toast, so doch ein kurzes Festeswort gesprochen werden mußte, erhob sich Arne von seinem Platz und sagte, während er sich gegen Schwester und Schwager verneigte: »Auf das Glück von Holkenäs.«
    Alle waren eigentümlich von den beinah schwermütig klingenden Worten berührt, und die, die dem Bräutigam zunächst saßen, stießen leise mit ihm an.
    Aber eine rechte Freude wollte nicht laut werden, und jedem Anwesenden kam ein banges Gefühl davon, daß man das »Glück von Holkenäs«, wenn es überhaupt da war, nur heute noch in Händen hielt, um es vielleicht morgen schon zu begraben.
     
Dreiunddreißigstes Kapitel
     
    Das Gefühl der Trauer, das bei der schönen Feier vorgeherrscht hatte, schien sich aber als ungerechtfertigt erweisen und »das Glück von Holkenäs« sich wirklich erneuern zu wollen. Diesen Eindruck empfingen wenigstens alle Fernerstehenden. Man lebte sich zu Liebe, sah viel Gesellschaft (mehr als sonst) und machte Nachbarbesuche, bei denen es von seiten Holks an Unbefangenheit und guter Laune nie gebrach, und nur wer schärfer zusah, sah deutlich, daß diesem allen doch das rechte Leben fehlte. Friede herrschte, nicht Glück, und ehe der Herbst da war, war namentlich für die Dobschütz und Arne kein Zweifel mehr, daß, was Christine anging, nichts da war als der gute Wille zum Glück. Ja, der gute Wille! Von Meinungsverschiedenheiten war keine Rede mehr, und wenn sich Holk, was gelegentlich noch geschah, in genealogischen Exkursen oder in Musterwirtschaftsplänen erging, so zeigte die Gräfin nichts von jenem Lächeln der Überlegenheit, das für Holk so viele Male der Grund zu Verstimmung und Gereiztheit gewesen war; aber dies ängstliche Vermeiden alles dessen, was den Frieden hätte stören können, das Abbrechen im Gespräch, wenn doch einmal ein Zufall ein heikles Thema heraufbeschworen hatte, gerade die beständige Vorsicht und Kontrolle brachte so viel Bedrückendes mit sich, daß selbst die letzten Jahre vor der Katastrophe, wo das eigentliche Glück ihrer Ehe schon zurücklag, als vergleichsweise glückliche Zeiten daneben erscheinen konnten.
    Holk, bei seinem frischen, sanguinischen Naturell, wehrte sich eine Zeitlang gegen diese Wahrnehmung und ließ sich's angelegen sein, über die Zurückhaltung und beinahe Scheu hinwegzusehen, womit Christine seinem Entgegenkommen begegnete. Schließlich aber ward er ungeduldig, und als Ende September heran war, beschloß er in einem Gemütszustande, darin
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