Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Mißmut und tiefe Teilnahme sich ablösten, mit der Dobschütz zu sprechen und ihre Meinung und wenn tunlich auch ihren Rat einzuholen.
    Über Schloß und Park lag ein klarer frischer Herbstmorgen, und die Sommerfäden hingen ihr Gespinst an das hier und da schon blattlose Gesträuch. Asta war den Abend vorher aus der Pension eingetroffen und brannte darauf, gleich nach beendigtem Frühstück, zu dem man sich eben gesetzt hatte, nach Holkeby hinunterzusteigen und der Freundin unten im Dorf ihren Besuch zu machen. »Ich komme mit«, sagte Holk, und da die Dobschütz schon vorher zugesagt hatte, Asta begleiten zu wollen, so stiegen nun alle drei die Terrasse hinunter, um, am Strande hin, den etwas näheren und schöneren Weg zu nehmen. Die breite Wasserfläche lag beinahe unbewegt, und nur dann und wann schob eine schwache Brandung ihren Schaum bis dicht an die Düne heran. Asta war glücklich, das Meer wiederzusehen, und brach oft ab in Erzählung ihrer Pensionserlebnisse, wenn dann und wann ein wunderbarer Lichtschimmer gerade über die stille Flut hinglitt oder die Möwen ihre Flügel darin eintauchten; aber mit einem Male war ihr Interesse für Meer und Lichtreflexe hin, und Elisabeth Petersens ansichtig werdend, die, von der Düne her, auf den Strand hinaustrat, eilte sie der Freundin entgegen und umarmte und küßte sie. Holk und die Dobschütz waren in diesem Augenblicke zurückgeblieben, was den beiden vor ihnen herschreitenden Freundinnen, die sich natürlich eine Welt von Dingen zu sagen hatten, sehr zupaß kam, aber auch Holk war es zufrieden, weil ihm der sich rasch erweiternde Zwischenraum eine lang herbeigewünschte gute Gelegenheit bot, mit der Dobschütz ungezwungen über Christine zu sprechen.
    »Es ist mir lieb, liebe Dobschütz«, begann er, »daß wir einen Augenblick allein sind. Ich habe schon längst mit Ihnen sprechen wollen. Was ist das mit Christine? Sie wissen, daß ich nicht aus Neugier frage, noch weniger, um zu klagen, und am allerwenigsten, um anzuklagen. Es hat Zeiten gegeben, wo Sie dergleichen mit anhören mußten, wo Sie schlichten sollten; aber wie Sie wissen, liebe Freundin, diese Zeiten liegen zurück und kehren nicht wieder. Aller Streit ist aus der Welt, und wenn ich mit Christine durch den Park gehe, wie's noch heute vor dem Frühstück der Fall war, und das Eichhörnchen läuft über den Weg und der Schwan fährt über den Teich und Rustan, der uns begleitet, rührt sich nicht, vielleicht auch dann nicht, wenn ein Volk Hühner auffliegen sollte – so fällt mir immer ein Bild ein, auf dem ich mal das Paradies abgebildet gesehen habe; alles auf dem Bilde schritt in Frieden einher, der Löwe neben dem Lamm, und der liebe Gott kam des Weges und sprach mit Adam und Eva. Ja, liebe Dobschütz, daran erinnert mich jetzt mein Leben, und ich könnte zufrieden sein und sollt es vielleicht. Aber ich bin es nicht, ich bin umgekehrt bedrückt und geängstigt. Handelte sich's dabei nur um mich, so würd ich kein Wort verlieren und in dem, was mir, trotz des vorhandenen Friedens, an Behagen und Freude fehlt, einfach eine mir auferlegte Buße sehen und nicht murren, ja vielleicht im Gegenteil etwas wie Genugtuung empfinden. Denn ein Unrecht fordert nicht bloß seine Sühne, sondern diese Sühne befriedigt uns auch, weil sie unserem Rechtsgefühl entspricht. Also noch einmal, wenn ich jetzt spreche, so sprech ich nicht um meinet-, sondern um Christinens willen und weil jeder Tag mir zeigt, daß sie wohl vergessen möchte, aber nicht vergessen kann. Und nun sagen Sie mir Ihre Meinung.«
    »Ich glaube, lieber Holk, daß Sie's mit Ihrem Wort getroffen haben – Christine will vergessen, aber sie kann es nicht.«
    »Und hat sie sich in diesem Sinne gegen Sie geäußert? Hat sie zu verstehen gegeben, daß alles doch umsonst sei?«
    »Das nicht.«
    »Und doch leben Sie dieser Überzeugung?«
    »Ja, lieber Holk, leider. Aber Sie dürfen aus diesem mich allerdings beherrschenden Gefühle nichts Schmerzlicheres und namentlich auch nichts Gewisseres ableiten wollen, als nötig, als zulässig ist. Ich weiß nichts Gewisses. Denn wenn ich auch nach wie vor der Gegenstand von Christinens Freundschaft bin – und wie könnt es auch anders sein, zeigt ihr doch jede Stunde, wie sehr ich sie liebe –, so bin ich doch nicht mehr der Gegenstand ihrer Mitteilsamkeit. Wie sie gegen alle schweigt, so auch gegen mich. Das ist freilich etwas tief Trauriges. Sie war daran gewöhnt, ihr Herz gegen mich auszuschütten,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher