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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich
Autoren: Theodor Fontane
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John,
    Und sie sind allezeit mein Glück,
    Doch die mir die liebsten gewesen sind,
    Ich wünsche sie
nicht
zurück...‹«
     
    Als dies Lied schwieg und gleich danach auch die Begleitung, eilten alle, sogar Holk, auf den Flügel zu, um Elisabeth, die verlegen die Huldigungen in Empfang nahm, ein freundliches Wort zu sagen. »Ja«, sagte Asta, die sich des Triumphes der Freundin freute, »so schön hast du's noch nie gesungen.« Alle wünschten denn auch die Strophe noch einmal zu hören, und nur eine war da, die sich dem Wunsche nicht anschloß, weil ihr inmitten des allgemeinen Aufstandes nicht entgangen war, daß Christine, ganz so wie vor zwei Jahren bei Vortrag des schwermütigen Waiblingerschen Liedes, den Salon in aller Stille verlassen hatte.
    Die, die dies wahrnahm, war natürlich die Dobschütz, der zugleich ein Zweifel kam, ob sie der Freundin folgen solle oder nicht. Zuletzt entschied sie sich dafür und stieg die Treppe hinauf, um Christine in ihrem Schlafzimmer aufzusuchen. Da saß sie denn auch, die Hände gefaltet, die Augen starr zu Boden gerichtet.
    »Was ist dir, Christine? was hast du?«
    Und die Dobschütz kniete vor ihr nieder und nahm ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen und Tränen.
    »Was hast du?« wiederholte sie ihre Frage und sah zu ihr auf. Christine aber, während sie die Hand aus der Hand der Freundin löste, sagte leise vor sich hin:
     
    »Und die mir die liebsten gewesen sind,
    Ich wünsche sie
nicht
zurück.«
     
     
Vierunddreißigstes Kapitel
    Eine Woche war vorüber seitdem.
    Es war eine milde Luft, und wäre nicht der wilde Wein gewesen, der sich mit seinen schon herbstlich roten Blättern um einzelne Säulen von Schloß Holkenäs emporrankte, so hätte man glauben können, es sei wieder Johannistag und das schöne Fest, das ein Vierteljahr vorher ganz Angeln mit begangen hatte, werde noch einmal gefeiert. Denn nicht nur lag es hell und beinahe sommerlich, wie damals bei der Wiedertrauung des gräflichen Paares, über Schloß und Park, auch die lange festliche Wagenreihe, die heute, genau wie am Tage der erneuten Trauung, zahlreiche Gäste gebracht hatte, war wieder da. Dazu klangen auch die Glocken wieder weit ins Land hinein, und die Mädchen von Holkeby standen, wie damals beim Erscheinen des hochzeitlichen Zuges, das Dorf entlang und streuten ihre Blumen. Aber heute waren es weiße Astern, die sie streuten, und
die
, die vom Schlosse her des Weges kam, war eine Tote; vorauf Musik, hinter dem Sarge Holk und die Kinder und dann in langem Zuge die Verwandten und Freunde. Petersen stand am Kirchhofseingang, und dem Zuge vorauf schritt er jetzt auf das Grab zu, das neben der baufälligen alten Gruft bereitet war. Hier angekommen, schwieg der Choral, alle Häupter entblößten sich, und dann senkten sie den Sarg hernieder, und die Erde schloß sich über Christine Holk. Ein Herz, das sich nach Ruhe sehnte, hatte Ruhe gefunden.
     
    Julie von Dobschütz
    an Generalsuperintendent Schwarzkoppen
     
    »
Schloß Holkenäs
, den 14. Oktober 1861
     
    Ew. Hochwürden wollen von unserer Freundin hören, deren Tod das erste war, was Sie, nach Ihrem Amtsantritt in Ihrer alten Heimat, von hier aus erfuhren. Ich komme Ihrem Wunsche freudig nach, denn neben allem Schmerzlichen ist es mir immer wieder ein Trost und eine Erhebung, von der teuren Toten sprechen zu dürfen.
    An dem Tage, wo Sie sie zuletzt sahen, reifte wohl ein Gedanke in ihr, den sie lange mit sich umhertragen mochte. Vielleicht entsinnen Sie sich des elegischen, beinahe schwermütigen Volksliedes, das Elisabeth Petersen an jenem Abende vortrug – Christine verließ gleich danach das Zimmer, und ich glaube, daß es von dem Augenblicke an in ihr feststand. Ich fand sie tief erschüttert und bekenne, daß bange Ahnungen sofort mein Herz erfüllten, Ahnungen, die niederzukämpfen mir nur dadurch gelang, daß ich mir den christlichen Sinn und die ganze Glaubensfestigkeit der teuren Entschlafenen vergegenwärtigte, den christlichen Sinn, der das Leben trägt, solange Gott es will.
    Der nächste Tag schien mir auch ein Recht zu diesem meinem Vertrauen geben zu sollen. Christine hatte sich, wie sie mir sagte, spät erst zur Ruhe begeben, aber ihr Aussehen zeigte nichts von Überwachtsein, im Gegenteil, eine Frische gab sich zu erkennen, wie ich sie, seit dem Tage ihrer Wiedervereinigung, nicht mehr an ihr wahrgenommen hatte. Sie war, als sie zum Frühstück kam, entgegenkommender und freundlicher als gewöhnlich, schlug einen
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