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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich
Autoren: Theodor Fontane
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und als wir damals, ein unvergeßlich schmerzlicher Tag, aus dem Hause gingen und erst im Dorfe unten und dann in Arnewiek und zuletzt in Gnadenfrei die schwere Zeit gemeinschaftlich durchlebten, da hat sie nichts gedacht und nichts gefühlt, was ich nicht gewußt hätte. Wir waren zwei Menschen, aber wir führten nur ein Leben, so ganz verstanden wir uns. Aber das war von dem Tage an vorbei, wo Christine wieder hier einzog. In ihrem feinen Sinn sagte sie sich, daß nun wieder eine neue Glücks- und Freudenzeit angebrochen sei oder wenigstens anbrechen müsse, und weil ihr – Verzeihung, lieber Holk, wenn ich dies ausspreche –, weil ihr die rechte Freude doch wohl ausblieb und ihr andererseits ein weiteres Klagen unschicklich oder wohl gar undankbar gegen Gott erscheinen mochte, so gewöhnte sie sich daran, zu schweigen, und bis diesen Tag muß ich erraten, was in ihrer Seele vorgeht.«
    Holk blieb stehen und sah vor sich hin. Dann sagte er: »Liebe Dobschütz, ich kam, um Trost und Rat bei Ihnen zu suchen, aber ich sehe wohl, ich finde davon nichts. Ist es so, wie Sie sagen, so weiß ich nicht, wie Hülfe kommen soll.«
    »Die Zeit, die Zeit, lieber Holk. Des Menschen guter Engel ist die Zeit.«
    »Ach, daß Sie recht hätten. Aber ich glaub es nicht; die Zeit wird nicht Zeit dazu haben. Ich bin nicht Arzt, und vor allem verzicht ich darauf, in Herz und Seele lesen zu wollen. Trotzdem, soviel seh ich klar, wir treiben einer Katastrophe zu. Man kann glücklich leben, und man kann unglücklich leben, und Glück und Unglück können zu hohen Jahren kommen. Aber diese Resignation und dieses Lächeln – das alles dauert nicht lange. Das Licht unseres Lebens heißt die Freude, und lischt es aus, so ist die Nacht da, und wenn diese Nacht der Tod ist, ist es noch am besten.«
     
    Eine Woche später war eine kleine Festlichkeit auf Holkenäs, nur der nächste Freundeskreis war geladen, unter ihnen Arne und Schwarzkoppen, auch Petersen und Elisabeth. Man saß bis Dunkelwerden im Freien, denn es war trotz vorgerückter Jahreszeit eine milde Luft, und erst als drinnen die Lichter angezündet wurden, verließ man den Platz unter der Halle draußen, um in dem großen Gartensalon zunächst den Tee zu nehmen und dann ein wenig zu musizieren. Denn Asta hatte sich während ihrer Pensionstage zu einer kleinen Virtuosin auf dem Klavier ausgebildet, was, seit sie zurück war, zu fast täglichen Begegnungen und Übungsstunden mit Elisabeth geführt hatte. Heute nun sollte dem innerhalb der nächsten Tage aus seiner Arnewieker Stellung scheidenden Schwarzkoppen zu Ehren mancherlei Neues zum Vortrag kommen, und als das Hin- und Herlaufen der Dienerschaften und das Geklapper des Teegeschirrs endlich ein Ende genommen hatte, begannen beide Freundinnen ziemlich hastig in der Musikmappe zu suchen, bis sie, was sie brauchten, gefunden hatten, nur zwei, drei Sachen, weil Holk alles Musizieren als eine gesellschaftliche Störung ansah. Das erste, was zum Vortrag kam, war ein Lied aus Flotows »Martha«, woran sich das Robert Burnssche »Und säh ich auf der Heide dort« unmittelbar anschloß, und als die letzten Zeilen auch dieses Liedes unter allseitigem Beifall verklungen waren, kündete Asta der immer aufmerksamer gewordenen Zuhörerschaft an, daß nun ein wirkliches Volkslied folgen solle; denn Robert Burns sei doch eigentlich auch nur ein Kunstdichter.
    Schwarzkoppen bestritt dies entschieden und sah sich dabei von seiten Arnes unterstützt, der, in seiner Eigenschaft als Oheim, hinzusetzen durfte: »das sei so moderner Pensionsgeschmack«, und einmal im Zuge, wär er sicher noch weiter gegangen und hätte der derartig herausfordernden Bemerkungen noch mehrere gemacht, wenn nicht Holk im selben Augenblicke mit der wiederholten Frage, wie das vorzutragende Volkslied denn eigentlich heiße, dazwischengefahren wäre.
    »Das Lied heißt gar nicht«, antwortete Asta.
    »Unsinn. Jedes Lied muß doch einen Namen haben.«
    »Das war früher so. Jetzt nimmt man die erste Zeile als Überschrift und macht Gänsefüßchen.«
    »Jawohl«, lachte Holk. »Gänsefüßchen; das glaub ich.«
    Und nun schwieg der Streit, und nach einem kurzen Vorspiel Astas begann Elisabeth mit ihrer schönen, dem Text wie der Komposition gleich angepaßten Stimme:
     
    »›Denkst du verschwundener Tage, Marie,
    Wenn du starrst ins Feuer bei Nacht?
    Wünschst du die Stunden und Tage zurück,
    Wo du froh und glücklich gelacht?‹
     
    ›Ich denke verschwundener Tage,
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