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Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Andrea Camilleri
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ihnen. Keiner von ihnen war ernsthaft verletzt, aber sie waren völlig erschöpft, und ihre Pelze waren zerfetzt. Ein paar Matrosen standen vor dem Eishaufen, als warteten sie darauf, daß der Schoner auf magische Weise wieder unversehrt zum Vorschein kommen würde. Auch Urquart lebte noch und kroch wie ein Aasgeier in den noch verbliebenen Hohlräumen des Wracks herum.
    Es war ein kalter, trostloser Tag. Sie fröstelten, ihr Atem hing weiß und schwer in der Luft. Sie blickten umher und sahen überall Matrosen mit zerquetschten Gliedern. Die meisten Leute waren ums Leben gekommen, und die noch verbliebenen sahen Arflane vorwurfsvoll an. Sie machten kein Hehl daraus, daß sie ihn für die Katastrophe verantwortlich hielten. Ulsenns Haltung gegenüber Arflane und Ulrica war neutral. Er nickte ihnen sogar zu, als sie sich dem Wrack näherten. Rorsefne lächelte und summte eine Melodie vor sich hin, als freue er sich insgeheim über diese Entwicklung.
    Arflane drehte sich nach ihm um und deutete auf den schmalen Spalt zwischen den beiden Eiswänden. »Das war nicht auf der Karte eingetragen, wie?« Er sagte es laut und trotzig, damit es auch die Matrosen hörten.
    »Wirklich nicht«, erwiderte Manfred Rorsefne und lächelte ironisch. »Die Klippen müssen sich dichter zusammengeschoben haben. So etwas soll vorkommen, habe ich gehört. Aber was fangen wir jetzt weiter an, Kapitän? Beiboote stehen uns nicht mehr zur Verfügung, also erhebt sich die Frage, wie wir am besten wieder nach Hause kommen …« Arflane sah ihn grimmig an. »Nach Hause?«
    »Wollen Sie vielleicht weiter?« warf Janek Ulsenn ein. »Was bleibt uns anderes übrig?« fragte Arflane. »Das ist doch wirklich …«
    »Wir sind nur ungefähr fünfzig Meilen von New York, aber einige Tausend Meilen von zu Hause entfernt.«
    Urquart tauchte wieder auf und zeigte ein paar Spanten aus Elfenbein. »Skier«, sagte er. »Darauf können wir in einer Woche New York erreichen.«
    Rorsefne lachte laut heraus. »Einfach nicht zu schlagen! Ich bin auf Ihrer Seite, Kapitän!«
    Die anderen sagten nichts, denn es gab nichts zu sagen.

    Es dauerte zwei Tage, bis sie den Paß hinter sich hatten und auf die weite Eisfläche hinter der Gletscherkette hinausglitten. Das Wetter hatte sich noch immer nicht gebessert, hin und wieder fiel Schnee, und die Kälte steckte in ihren Knochen. Sie hatten einige Harpunen aus dem Wrack des Schoners bergen können. Die Elfenbeinspanten dienten ihnen als Skier, und mit Hilfe der Harpunen bewegten sie sich vorwärts. In dem Gepäck auf ihren Rücken war der Proviant.
    Sie waren erschöpft und sprachen auch dann kaum ein Wort, wenn sie eine Ruhepause einlegten. Sie richteten sich nach einem kleinen Kompaß, den Manfred Rorsefne in seiner zersplitterten Reisetruhe gefunden hatte.
    Arflane sah nur eine weiße Fläche, die bis in die Ewigkeit vorzustoßen schien. Die Zeit hatte aufgehört zu existieren. Sein Gesicht, die Hände und Füße schmerzten vor Frost, in seinem Bart hatten sich Eiskristalle gebildet, seine Augen waren gerötet und hatten dicke Tränensäcke. Die anderen folgten ihm in einer Reihe und gingen wie er: mit schleppenden, mechanischen Schritten. Die Unterhaltung war auf ein Minimum be schränkt, denn jeder wußte vom anderen, daß er genau dasselbe dachte wie er.
    Aus Gewohnheit blieben Arflane und Ulrica zusammen, aber das war nur noch Gewohnheit, nichts weiter.
    Niemand wußte, wann und ob sie überhaupt New York erreichen würden. Es sah aus, als würde einer nach dem anderen sterben, und selbst der Tod hatte seinen Schrecken verloren. Es war nur ein Hinüberdämmern von einem apathischen Zustand in den anderen, denn die Kälte war so bitter, daß man keinen Schmerz mehr spüren konnte. Zwei der Matrosen starben; niemand kümmerte sich um sie. Die einzige Person, der die Strapazen offenbar nichts ausmachten, war Urquart. Als die beiden starben, fand er noch Zeit, das Zeichen der Mutter des Eises zu machen.
    Keiner von ihnen wußte, daß die Kompaßnadel falsch anzeigte und sie auf der großen, weißen Fläche im Halbkreis herumgingen und sich von der vermutlichen Route nach New York entfernten.

    Die Barbaren sahen im wesentlichen so aus wie jene, die nach der Waljagd den Schoner überfallen hatten. Sie waren mit weißen Pelzen bekleidet und ritten weiße, bärenartige Tiere. Sie hielten Schwerter und Speere bereit, als sie vor der kleinen Gruppe ihre Reittiere zügelten.
    Erst in diesem Augenblick wurde Arflane auf sie
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