Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
sondern mehrere, und alle bewegten sich beim Sprechen. »Guten Morgen, Flatch«, grüßte Brenn jovial. »Sie erinnern sich doch, daß ich während der verflossenen Fangzeiten das Bier und den Proviant bei Ihnen gekauft habe?« »Ich erinnere mich, Kapitän Brenn.«
    »Ich brauche für einige Tage Kredit. Meine Männer müssen verpflegt werden, bis wir zum Südeis segeln. Im Norden hatte ich bisher Pech. Ich will nur zurückbekommen, was ich bei
    Ihnen investiert habe, nicht mehr.«
    »Das werden Sie bekommen, Kapitän Brenn«, sagte die schrille, gurgelnde Stimme. »Sie haben mir zweimal über schlimme Zeiten hinweggeholfen. Ich werde mich um Ihre Besatzung kümmern.«
    Brenn grinste erleichtert. »Einen Schlafraum für mich«, sagte er und wandte sich an Arflane. »Wo wohnen Sie?«
    »In einer Unterkunft einige Etagen tiefer«, antwortete Arflane. »Wie viele Besatzungsangehörige, Kapitän?« fragte Flatch.
    Brenn sagte es ihm und beantwortete noch ein paar andere Fragen. Er schien aufzuatmen, blickte herum und betrachtete die Bilder an den Wänden.
    Als er mit Flatch die Formalitäten erledigt hatte, erhob sich von einem Platz in der Nähe ein Mann und kam auf ihn zu. Er hatte eine schwere, lange Harpune unter den Arm geklemmt. Sein Gesicht sah selbst in dem flackernden Licht rot und von Wind und Wetter zerfurcht aus. Sein Kopf schien völlig fleischlos zu sein und glich einem Totenschädel. Die Nase war lang und schmal, und er hatte unter dem rechten Auge und an der linken Wange jeweils eine Narbe. Sein Haar war schwarz und pyramidenartig aufgetürmt. Diese seltsame Frisur wurde mit Walfischtran in Form gehalten. Das Haar roch entsprechend stark und schon ranzig. Sein Pelz war gute Qualität, aber mit Walfischblut beschmiert. Unter dem offenen Kragen sah man die Kette aus Walfischzähnen. An beiden Ohrläppchen baumelten verzierte Elfenbeinstückchen. Seine Stiefel waren aus weichem Leder und mit Knochennadeln an seiner Pelzhose befestigt. An seinem breiten Gürtel hingen ein Entermesser und ein Beutel. Er schien, selbst unter Walfängern, ein ungemein harter Bursche zu sein. Seine schmalen Augen glitzerten kalt und blau.
    »Sie wollen zum Südeis, habe ich gehört«, sagte er zu Kapitän Brenn. Seine Stimme klang tief und heiser.
    »So ist es.« Brenn musterte den Mann von oben bis unten.
    »Aber meine Besatzung ist vollzählig – so vollzählig, wie es die Umstände gestatten.«
    Der Mann nickte und spie in einen Spucknapf in der Nähe der Theke. »Ich will keine Koje bei Ihnen haben. Ich bin mein eigener Mann. Ich wende mich nicht an die Kapitäne der Walfänger, sondern sie wenden sich an mich. Ich heiße Urquart.« Arflane hatte den Mann bereits erkannt, doch Brenn kannte anscheinend nur seinen Namen. »Urquart … Long Lance Urquart. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.« Urquart war der größte Harpunier in der Geschichte des Eislandes. Man sagte, er habe ohne jede Hilfe über zwanzig Riesenwale getötet. Urquart bewegte leicht den Kopf, so als nehme er Brenns Kompliment gnädig zur Kenntnis. Er spie wieder aus und sah nachdenklich den Spucknapf an, der aus der Hirnschale eines Wals gearbeitet worden war. »Ich bin auf dem Südeis zu Hause«, sagte er. »Sie jagen hauptsächlich im Norden, wie ich gehört habe.«
    »Hauptsächlich«, bestätigte Brenn, »aber ich kenne das Südeis gut genug.«
    Urquart stützte sich auf seine Harpune, legte seine großen, knochigen Hände übereinander und schürzte die Lippen. »Viele Nordeisleute fahren seit den letzten beiden Fangzeiten zum Südeis«, sagte er. »Dort wurde ein neuer Fisch entdeckt, Kapitän Brenn.«
    Walfänger – besonders Harpuniere – bezeichneten Wale als ›Fische‹, um ihre Geringschätzigkeit gegenüber diesen riesigen Tieren zu bekunden.
    Brenns Gesicht verdüsterte sich. »Meinen Sie, daß dort auch nichts zu holen ist?«
    »Immerhin noch mehr als auf dem Nordeis«, sagte Urquart langsam. »Ich erzähle Ihnen das nur, weil Sie sich offenbar auf ein Risiko einlassen. Ich habe viele gute Kapitäne dasselbe tun sehen. Aber die Sache steht schlecht – im Norden und im Süden. Eine richtige Herde wurde während der ganzen Saison nicht gesichtet. Die Fische ziehen sich immer weiter in den Süden zurück. Es wird bald unmöglich sein, für solche Fahrten genügend Proviant an Bord zu nehmen.« Urquart legte eine Pause ein und fügte hinzu: »Die Fische verschwinden …« »Warum erzählen Sie mir das?« fragte Brenn und ärgerte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher