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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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zerfleddernden Bündel sämtlicher Tageszeitungen der Muppets-Welt bepackt, dabei unablässig in sein Oktavheft mit dem Füller notierend. Und stets nahe dem Durchdrehen, derart Ergriffen von den Schönheiten des gesprochenen Wortes. Die Kermit so vorbrachte. Beispielsweise. Über dem Eingang eines Cafés in Berlin, in das ich gerade deswegen schon gerne ging, weil es hieß, es sei unmöglich dort, hing ein Schild, auf dem geschrieben stand: das Leben ist kein Ponyhof. Das stimmte wohl und doch musste ich dabei halt immer auch an Ricardo Villalobos denken, der einen Remix so genannt hatte: Ponyhof. Es ging ja doch alles, wirklich alles, wenn man bloß wollte.
    In langen, aus dem Handgelenk geführten Schwüngen war der Himmel über der Bucht im Nu rauchfarben zugetuscht worden, und zwar, wie es schien, von einem bestimmten Ort aus, der über den dreien, nun in Umbra erscheinenden Gipfeln lag, die den Hintergrund meines Fensterblicks bildeten. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch eine zunehmende Deckkraft der Farbe von dort aus, so als befände sich zwischen der Silhouette der Berge und der meinen Ausblick begrenzenden Dachkante ein pinselndes Handgelenk. Regen fiel, was angesichts der eintönigen Verwischung des Himmelsbildes zu dem seltsamen Sinneseindruck führte, die Tropfen fielen vom Grund aus nach oben – und es hörte sich nicht anders an, als wenn die Tauben in den Dachrinnen kraspelten bei Sonnenschein. Den Duft des Regens auf warmem Asphalt liebte ich daheim über alles; jahrzehntelang war das mein Untitled avant la lettre gewesen, hatte dasselbe ziehende Gefühl im Magen ausgelöst wie nun dieses Parfum, eigentlich also wie Julia, aber hier, tausend Kilometer weiter im Süden, roch es ganz anders bei Regen an einem Sommertag, der südfranzösische Sommerregenaufheißemasphaltduft ließ mich kalt.
    Mein Farbenhändler hatte mir geraten, das Bücherregal, naturgemäß reich an Details, nach Doerner als Grisaille anzulegen, wonach ich dann die bereits haptisch gewordenen Rücken der Bücher einzeln zu kolorieren hatte. Meine Leinwand war im Format des iPad-Displays dimensioniert – zwanzig mal fünfzehn Zentimeter. Mit der Ausarbeitung der Buchrücken und Regalbretter im Hintergrund der beiden Figuren hatte ich einige Tage gut zu tun. Mit der Doerner’schen Grisaille war gemeint, dass die schiere Körperlichkeit der Gegenstände in Grautönen auf den mit Bleiweiß vorbereiteten Kreidegrund gemalt wurde. Zwar war es aufgrund der Dimensionen einzelner Buchrücken innerhalb dieses Formates nicht in jedem Fall notwendig, die Titel tatsächlich lesbar zu machen – doch forderte ich von mir, die Buchrücken dennoch für Fachleute und Kenner charakteristisch darzustellen. Was mich dann tatsächlich an ein Problem brachte, denn ich konnte ja nicht das gesamte Regal aus Reclamheften oder Bänden der Bibliothek Suhrkamp bestücken – das sähe ja aus, als hätten wir uns in einem Möbelhaus kennengelernt. Die Bibliothek des Hauses in Cagnes gab nicht genug her. Nadine Gordimer, Der Radetzkymarsch – die erotischen Novellen Guy de Maupassants sowie Madame Bovary waren mir lieb, aber für diesen Zweck ungeeignet (zumal die meiner Erinnerung nach, in dem Ur-Regal, nun wirklich nicht anzutreffen gewesen waren). Den mir unbekannten Gastgeber anzuschreiben und um eine Inventarliste zu bitten, war die aus wissenschaftlicher Sicht seriöseste Vorgehensweise. Doch besaß ich nicht annähernd die Größe, wahlweise Selbstsicherheit der Dame Albus, die etwa die Restauratorin des Herzog Anton Ulrich-Museums zu Braunschweig angeschrieben hatte, um sich von ihr die Breite einer gemalten Kröte abmessen zu lassen, bloß um für einen Nebensatz herauszufinden, ob Otto Marseus van Schrieck dies Tier nun maßstabsgetreu eingefangen hatte (er hatte es übertrieben: eingedenk der perspektivischen Entzerrung kam die Dame Albus dabei auf einen Zentimeter). Was mir wiederum zu gestatten schien, die Sammlung des nächtlichen Gastgebers über das Niveau eines Möbelhauses zu heben.
    Das Umfeld unserer Figuren befüllte ich pinselnderweise mit all den Bänden, von denen ich wusste, dass sie Julia oder mir viel bedeuteten. An aus der Erinnerung vorgegebener Stelle, wichtiger Fluchtpunkt meiner Komposition, standen die beiden Bände Plotins. Dennoch sah es danach noch immer so aus, als fehlte etwas. So einiges. Ziemlich viel. Es gibt ja leider kaum Menschen, die ihre Bücherregale leer stehen lassen. Was oftmals viel schöner aussähe,
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