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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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kaufte bereits den Abraum der Austernfischer von Galicien bis in die Normandie hinauf. Aus dem Schalenmaterial wurden zwei subtil unterschiedliche Nuancen des schimmernden Weiß gewonnen. In unterschiedlichem Maße mit Schneckenpurpur gemischt, ließ sich unser Fleisch ganz ordentlich modellieren. Der keusche Pinsel – Vorstudie zu einem historischen Roman.
    Als ich in Marseille dann ein Taxi bestieg, um nach Cagnes-sur-Mer zu gelangen, da brauchte es keine fünf Minuten und ich war bereits uralt. Das war die Scham angesichts der Erinnerung an den Eispickel, die aber war unnötig, denn ich würde sie ohnehin für mich behalten, diese Erinnerung, wie ich es über die Zeit von Julia mir abgeschaut hatte, als ein Verhalten, das es mir freistelltezu machen, was ich nur wollte (und ohne die schreckliche Stimme des Spatzen von Paris im sogenannten Hinterkopf, die doch immer so geklungen hatte, als hielte sie sich einen elektrischen Rasierapparat an den sogenannten Kehlkopf, während sie sang). Der Fahrer meines Taxis aber – die pfeifen dort auf Paris, pfeifen auf Spatzen, der Vogel dort ist die Ringeltaube – war sozusagen alt. Seine Haarfärbung sprach es aus und er fing an zu plaudern mit mir wie mit einem Freund, tatsächlich, kaum dass wir das Zentrum verlassen hatten: Bist du müde, nach deiner langen Reise?, sagte er und warf ein paar Münzen in den Korb, der an die Bezahlsäule der Mautstation montiert war. Wir könnten einen Kaffee trinken gehen. Vermutlich dachte er nicht an Geiz, als ich ablehnte, da ihm der Auftrag einiges einbringen würde. Der eigentliche Grund aber, das glaubte ich zumindest, war für ihn unzugänglich in meinem Bewusstsein verstaut: Ich fand ihn alt. Und wollte auf gar keinen Fall ihm als nahbar erscheinen. Jedenfalls nicht so. Verbündete ich mich mit ihm, gäbe ich mein eigenes Alter preis, das mir vielleicht anzusehen war, doch fühlte ich mich seelisch um so vieles jünger. Das kam, glaubte ich, automatisch mit dieser Situation um Julia: Dass es besonders und einzigartig und undurchschaubar bleiben sollte – jeder wissende, jeder verstehende Kommentar anderer machte mir das eigene Treiben schal.
    Immer wieder war mir das passiert, seitdem ich und Julia ein Paar geworden waren: dass mich jemand auf einer Party oder im Restaurant nach dem zweiten Glas beiseitenahm, um zu fragen: Was ist bloß los mit dir, du siehst derart unglücklich aus. Ein Re-Run meiner Kindheit, der Refrain meiner Jugend: Warum schaust du so traurig! Dort war ich, wie eh und je um Antwort verlegen, wieder angelangt. So dass ich, von meiner Situation ausgehend – jemanden gefunden zu haben, der mir mehr bedeutete als alles in der Welt, nun endlich akzeptieren müsste: Das, nein: so war ich.
    Da standen wir wieder einmal an einer Mautstation und er trichterte mir abrupt nach seinem Auflachen ein, dass er die Straßengebühren auf den Fahrpreis addieren würde. Er nickte in Richtung des Taxameters: Das Gerät sei dafür zu dumm. Und ich lehnte meine Schläfe an die Scheibe des Seitenfensters, sah draußen orangefarbene Lichtpunkte, die Dörfer bedeuteten; das mit dem Leuchtturm war Antibes, dahinter lag Cagnes-sur-Mer und ich wollte einfach bloß heim.
    Viel zu früh hatte ich eine Fernsehverfilmung der letzten Tage von Stammheim gesehen. Die Rote-Armee-Fraktion gehörte zu meinem Aufwachsen wie Cornflakes, oder der Dreckberg hinter dem Haus, den ich mit meinen Siku-Autos bespielt hatte. Im Postamt hing dieses Warhol-Plakat, auf dem die Terroristen mit ausladenden Sonnenbrillen abgebildet waren: Vorsicht Schusswaffengebrauch! Christian Klar wurde dann unweit des Elternhauses an einer Kreuzung zwischen zwei Spargelfeldern geschnappt. Meine Tante brachte mich eines Nachmittages in ihrem grauen Käfer mit zu einem befreundeten Buchhändler, der seine Rowohlt Neue Frau Broschüren und die gelben Bände aus dem März Verlag in einer aus heutiger Sicht viel zu kleinen Ortschaft in den Weinbergen bei Ötisheim verkaufte. Der hatte einen Bauernschrank im Laden, da konnte ich durchgehen. In dem Raum dahinter gab es eine Druckmaschine, wie ich sie viel später noch einmal in Galle, auf Ceylon sah, bevor in dem Jahr darauf alles vom Tsunami verwischt wurde (und Helmut Kohl – lebte der eigentlich noch?, den steilen Weg aufwärts vor dem Wasser flüchten musste; der war dort zur Fastenkur im Cinammon House).Vom Kino oder jenem jugoslawischen Restaurant, das meine Eltern oft genug mit uns Kindern aufgesucht hatten, führte der
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