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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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reckt eine Lanze, an der büschelweise Karrees aus der Seidentuchkollektion befestigt sind, in den perlgrauen Himmel über den Dächern der schönsten Stadt der Welt. Es regnet, ein gelangweiltes Nieseln, und etwas singt in meinen Knochen.
    Es ist ein Irrglaube, dass Croissants in Frankreich am besten schmecken. Zumindest in Paris – ansonsten verschlägt es mich manchmal noch nach Nizza oder Juan lesPins – sind sie geradezu beschissen. Selbst die Croissants im Bordbistro des ICE , die mitsamt ihrer perforierten Folienhülle im Mikrowellenherd gewärmt werden, sind französischer, sozusagen. Es gibt die Möglichkeit, sich Saft frisch pressen zu lassen. Im silbernen Korb neben der Presse sind Äpfel mit roter Schale ausgestellt, das Glas wird aber mit einer neongrünen Flüssigkeit gefüllt serviert. Sie erscheint mir nahrhaft. Noch zwei davon und ich fühle mich bereit für den zweiten Tag im Grand Palais.
    Mein sogenannter Arbeitstag besteht größtenteils aus Cocktails und anderen Empfängen. Ich reise an, um eine noch nicht auf dem Markt befindliche Handtasche zu begutachten, wir feiern einen Schuh, alle halbe Jahre stehen in rascher Folge die Modenschauen in New York, London, Paris und Mailand an (in Berlin, wo ich eigentlich lebe und zu Hause bin, schicke ich die Volontäre zur sogenannten Fashion Week).
    Ich bin neununddreißig. Ich habe nie studiert. Ich habe in Nachtklubs gearbeitet und danach in Werbeagenturen. Mit dem Schreiben konnte ich mehr Geld verdienen als mit den Tresenjobs, also habe ich das gemacht. Ich habe von Anfang an über schöne Dinge geschrieben, weil mir zu Krisen und Kriegen, zu Immobilienpreisen oder Sportereignissen nichts einfällt. Ich verstehe nicht, worum es im Nahostkonflikt geht. Da bleiben nur die Handtaschen übrig, die Schmuckuhrenkollektionen und Parfums, die nach Buchsbaum duften, und Springreitturniere im Grand Palais. So sieht es aus.
    Ein Bellboy (er ist in meinem Alter) in lavendelfarbener Uniform streckt mir einen Schirm hin. Ich kann nicht verstehen, was er sagt, denn die Musik aus den Ohrhörern übertönt jedes Geräusch. J hat mir ein iTunes Geschenk gesandt. Peter Sarstedt singt Where Do You Go To My Lovely.

    Auf der Brücke über die Seine, die wie alle Brücken über die Seine wunderschön ist mit ihren gusseisernen Laternen und der genau richtig geplanten Breite für die spiegelnden Ströme der Autos und den sich fotografierenden Personen links und rechts, nehme ich zur Sicherheit noch eine der Schmerztabletten ein, die mir verschrieben wurden, nachdem ihnen im Brainscanner ein ungewöhnlich stark flammendes Feld in meinem Kopf aufgefallen war, das mir einige Wochen lang als ein Gehirntumor diagnostiziert wurde – dabei bin ich bloß zum ersten Mal verliebt.
    Das Ganze fing vor drei Monaten an, an einem Dienstag im Februar, das Datum hat sich mir eingebrannt wie mein eigener Geburtstag, mit einem Telefonnummernrhythmus, einer eigenen Melodie: Elfter Zweiter Zweitausendzehn. An diesem erinnernswerten Tag war ich morgens bereits derart erschöpft, dass ich mich kaum auf meine Aufgaben konzentrieren konnte. Leute kamen in mein Büro und verließen es irgendwann auch wieder, ich konnte meinen desolaten Zustand offenbar nur ungenügend verbergen, aber ich bekam sympathische Reaktionen – klar, schließlich war ich zum ersten Mal seit etwa acht Jahren in die Ferien gefahren, und dann gleich für drei Wochen. Mit meiner sympathischen Freundin, die zwar niemand so recht kannte, aber zu deren Person und Aktivitäten es auf Facebook freundliche Kommentare zu geben schien. Und eben diese Freundin, mit der ich soeben drei Wochen im Norden Thailands verlebt hatte (Scooter fahren in den Bergen, Fußmassagen, heiße Schwefelquellen, in deren Sud man Eier in Bastkörbchen kochen kann, um sie dann mit Sojasoße zu essen. Überhaupt: essen, essen, essen, denn when in Thailand, do as the Thai do. Und die essen nun einmal rund um die Uhr so in etwa sechs bis neun Mahlzeiten), eben diese SentaKustermann rief mich also an, nachdem ich gerade wieder jemanden aus meinem Büro verabschiedet hatte, und gab mir die Planung des anstehenden Abends bekannt. Senta plante überhaupt sehr gerne. Ich wiederum überhaupt nicht, Planen macht mir nicht nur schlechte Laune, Planen macht mir Angst; es ist sogar so, dass von mir geplante Dinge (sollte ich dazu gezwungen werden, mich auf etwas festzulegen) wiederum von mir selbst dergestalt torpediert werden, dass nichts daraus werden wird. Ich
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