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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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Art selbst gebasteltem Gestell aus roh belassenem Tannenholz aufgestellt war. Und natürlich gab Wikipedia dem Tomboy recht. Für den Wetteinsatz hatte ich ihr etwas Interessantes von Margiela versprochen, denn ich rechnete damals in Bälde mit dem Eintreffen der ersten Vorabflakonsseines Parfums. Dem Tomboy war Martin Margiela kein Begriff.
    Wipe the Slate. Ich kann mich nicht erinnern, was Senta Kustermann währenddessen gemacht hat. Ich weiß nicht, wo sie sich aufhielt – die Wohnung des sogenannten Autors war nun wirklich nicht besonders weitläufig.
    Aber ich weiß, dass ich im Badezimmer stand und das Gesicht des kleinen Tomboys mit Zahnpasta einschmierte. Und dass sie sagte: Entferne es – küssenderweise. Eventuell war dies auch als Frage formuliert, egal. Dass man mit etwas Gesagtem tatsächlich etwas zurichten kann, zudem mit einem lächelnd schwingenden küssenderweise – es geschah genau so. Vermutlich waren auch noch andere Personen zugegen. Es war der beste Kuss, den ich jemals bekommen hatte. Es war nämlich, als würde ich mich selbst küssen.
    Ich bin erwiesenermaßen ein guter Küsser. Es gab ein paar Frauen, die eine ganze Menge ertragen haben, for just one kiss. Und sie, ich wusste ihren Namen nicht, untitled, konnte dasselbe anrichten.
    Irgendwann kamen wir unauffälligerweise aus dem Badezimmer und ich traf Senta, die ja meine Freundin war, und ich versuchte noch etwas von dem zu retten, was ich soeben begraben hatte, vielleicht war ich auch verwirrt, als ich sagte: Lass uns bitte sofort nach Hause gehen. Aber es war Senta Kustermann selbst, die sagte: Ach, die anderen wollen alle noch in die Bar – lass uns noch mitgehen, auf einen letzten Drink.
    Dort, es war nicht weit, begann sie umstandslos eine intensive Unterhaltung mit einem der Anwesenden, es ging um eine geschäftliche Angelegenheit, und ich stand oder saß neben dem Tomboy am Tresen, die von einem Schwaben mit Fistelstimme belagert wurde, und ich tat zu meinemeigenen Erstaunen, zu meiner eignen Erregung allerdings auch, etwas, was ich noch nie zuvor in meinem Leben einer Frau gegenüber getan hatte.
    I leaned in und sagte: Ich will jetzt sofort mit dir aufs Klo und dort weiterknutschen.
    Und sie sagte: Küssenderweise? Das will ich auch.
    Nie zuvor habe ich etwas derart Schönes, rein Gutes und meine Erwartung von Sexualität auf derart überwältigende Weise Erfüllendes erlebt wie das Tauschen von Küssen mit ihr. Man sagt das so – de facto wird ja nicht getauscht, sondern verschmolzen. Und wie!
    Wohl verkündete sie mir, dass sie verheiratet sei. Und steckte mir eine Visitenkarte zu, auf der sie als Mitglied einer Institution namens Purple Brain ausgewiesen wurde.
    Im Taxi mit Senta Kustermann provozierte ich einen Filmriss und schreckte kurz nach sechs hoch aus einem ziemlich schwarzen Schlaf. An dieser Stelle ist es angebracht, zumindest eine Bemerkung meine vita sexualis betreffend anzubringen: Ich hatte eine andere Personen, Frauen wie Männer, zu Heiterkeitsausbrüchen provozierende geringe Anzahl an Partnern; zu sogenannten One-Night-Stands bin ich nicht fähig; ich habe auch keinen ungerichteten Sexdrive. Ich fühlte mich noch nie veranlasst, loszuziehen, um jemanden abzuschleppen. Ein mittlerweile entfernter Bekannter hat mein Problem, das ich selbst übrigens überhaupt nicht als solches empfinde, einmal treffend auf den Punkt gebracht: Warum solltest du dich auch vor fremden Menschen ausziehen?
    Ich schloss mich im Badezimmer ein, tippte Julias Nummer in mein Telefon und sandte ihr eine SMS . Die lautete: Im Zweifel für den Zweifel.
    Ich bekam nur wenig später ihre Antwort auf demselben Wege. Dort stand: Genau so und nicht anders.

    Über den Tag tauschten wir noch einige solcher Formeln und Hülsen, aber dem gesamten Schriftverkehr lag eine beunruhigende Zweideutigkeit zugrunde, die mich in Atem hielt.
    Abends dann, ich aß allein in einem nepalesischen Restaurant, fasste ich mir das sogenannte Herz und schrieb: Habe ich dich gestern geküsst? Und sie antwortete mit einem Wort: Ja.
    Ich konnte nicht anders, ich fühlte etwas, das ich in dieser Dringlichkeit noch nie gefühlt hatte. Ich schlug ihr, recht förmlich, ein Wiedersehen vor, um diese Geschehnisse zu erklären, zu besprechen, irgendetwas zu klären.
    In Wahrheit, so sehe ich das heute, wollte ich an die Geschehnisse anknüpfen. Doch nichts dergleichen geschah. Wir trafen uns in der Bar des Hotel de Rome. Der Vorschlag kam von mir, denn dort war so gut
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