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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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wie nie mit Gästen zu rechnen. Als sie zur Tür hereinkam, verabschiedete sich mein Denken. Was ich sah, erkannte und dachte, war zu einem einzigen Mark-Rothko-farbenen Brummen geschmolzen. Wir unterhielten uns über Quatsch, wir bestellten Tee, die Rechnung habe ich heute noch, nie eingereicht, eine Reliquie, sie saß neben mir auf diesem lächerlichen Recliner und schaute mich an, wie sie mich heute noch immer anschaut, und ich dachte ja wie gesagt nichts, sondern hatte nur dieses Brummen im Gemüt: Nimm sie, stürz dich auf sie, mach sie platt, das ist SIE ! Die Frau deines Lebens.
    Sie heißt Julia Speer.
    Ich hatte zuvor noch nie einen derart intelligenten Menschen getroffen, der mit halben Sätzen auskommt, weil er weiß, was ich sagen will. Vielleicht hatte Julia Speer auch noch nie einen derart flachsinnigen Menschen getroffen, dessen Sätze eben schon in den Anfängen allzu klar machen, worauf es hinauslaufen wird.

    Alles von zwei Seiten betrachten zu wollen, alles infrage stellen zu können, das habe ich von ihr. Ich kann nicht sagen, dass es mein Leben leichter gemacht hat.
    Aber: Im Zweifel für den Zweifel.
    Sie trägt tatsächlich Schnürstiefel von Doc Martens, schwarze, es ist um mich geschehen, ich bringe sie zum Bus – ich kannte bislang niemanden, der Bus fährt. Als sie einsteigt, nehme ich wahr, dass sie ein Einzelticket löst. Ich habe auch nie ein Abonnement erworben für die S-Bahn oder dergleichen. Ich will auch kein Mitglied sein in einem Verein.
    Und in dem Moment, da sie in dem trübe leuchtenden Kasten davongefahren wird, spüre ich zum ersten Mal diesen Schmerz, der sich interessanterweise nur so verbalisieren lässt: Verlass mich nicht, Schwester, komm sofort zurück.
    Und dieser Schmerz des Vermissens geht fortan nicht mehr weg. Ich habe, das fühle ich ziemlich direkt, meinen Seelenverwandten gefunden und es tut unendlich weh, von ihm getrennt zu sein. Ich benutze hier absichtlich neutrale Bezeichnungen für das fragliche Subjekt, denn es war anfänglich keinerlei sexuelles Begehren im Spiel. Vielmehr fühlte ich nur diesen immensen Hunger nach Nähe zu ihr, nach Worten, zu ihr sprechen zu dürfen, zu hören, zu verstehen, was sie zu sagen hat.
    Ich bitte meine Sekretärin, den nischigsten Tisch im Café Einstein für eine Unterredung mit einem Informanten zu reservieren. Wir treffen uns dort um die Mittagszeit. Sie kommt um die Ecke und ihre Schönheit erschlägt mich. Erst ist es, als könnte sie leuchten – aber Julia hat sich ihre Haare bleichen lassen, um nicht erkannt zu werden . Das scheint wahr. Sie trägt einen himbeerfarbenen Schal, den sie seltsam eng um ihren schönen Hals gewickelt hat. Sie schaut mich an, dann geben wir uns einen sanften Kuss. Dann stürzen wir ineinander und es gibt kein Halten mehr. Sie bestellt eine Fleischbrühe mit Frittaten, ich, notgedrungenerweise, das vegetarische Gericht, das, wie gewohnt, wie überall, ungenießbar ist. Wir reden und küssen stundenlang. Bis heute ist es das, was die Liebe zu Julia auszeichnet: Der gleichermaßen ausgeprägte Drang nach Körperlichkeit wie nach Geist. Denn: Sie ist nicht nur schön, sie ist auch dermaßen sexy! Schlag auf Schlag konnte sie mir aber auch Fakten enthüllen, die mich an der Wirklichkeit dessen, was ich in ihrer Person begegne, zweifeln lassen: Sie ist Philosophin – wann begegnet man denen schon? Und was machen die sonst so außer denken? Sie interessiert sich stark für elektronische Geräte. Und sie hat als erste Frau, der ich begegne, einen exzellenten Musikgeschmack.
    Ich bin, wie man es immer so liest: betäubt, mir ist richtig schwindlig, als wir das Café verlassen und im Licht des frühen Februarnachmittages auf den Bürgersteig Unter den Linden treten. Irgendwie blinzelnd, zumindest vor dem inneren Auge, denn wir wechseln übergangslos in eine offizielle Welt, in der eben nichts mehr, wie es andersherum in Stripped von Depeche Mode heißt, uns alleine gehört. Sie nimmt meine Hand. Das wird in mir Regler verstellen, die sich nie wieder in die Ausgangsposition zurückschieben lassen. Sie lacht auf diese unvorstellbar liebenswerte Art, sie hat eine Heiterkeit, die mir so lange gefehlt hat und die derart ansteckend ist, dass ich Julia Speer als Medikament verschreiben will für alle, die leiden müssen. Sie erzählt von einem Sport, den sie betreibt, von dem ich noch nie zuvor gehört habe: Donga. Gefochten wird mit einem zwei Meter langen Stab aus Holz. Sie hat sich einen zerlegbaren
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