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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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nicht mehr bloße Zufälligkeit: wann immer ich Julia ganz besonders stark vermisste, wann immer ein du fehlst mir nicht bloß naheliegend, sondern einzig zutreffend war, wann immer also die Welt wieder einmal drohte, gleich leer vor mir zu erscheinen, wurde ich gerettet durch Beweise ihrer Anwesenheit. Dann fuhr etwa ein Lastwagen an mir vorbei, das Logo der Spedition bestand aus einem besonders auffällig gestalteten J, aus einem Fenster drang der Reggae von Burning Spear, das Straßenbild begann zu wimmeln von kurzhaarigen Frauen, im Schaufenster der Parfümerie war ein übergroßer Flakon Untitled dekoriert und immer so weiter und immer so fort, bis ich mich an solchen Momenten von den Zeichen der Anwesenheit Julias derart gespickt fühlte, dass ich entkräftet nach Hause schlich, weil mir das Herzblut aus so vielen Öffnungen quoll. Danach allerdings wurde alles wieder gut. Eigentlich. Zumindest für eine Weile. Undeiner solchen Perforation durch ihre Liebespfeile bedurfte ich gerade sehr, sonst hätte ich mich bei meiner Angst vor Hunden im Leben nicht auf Nadine Gordimers Grundstück gewagt. Eine Katze mit schneeweißem Fell saß dort unter einem Feigenbaum. Das Fell des Tieres strahlte aus dem Laubschatten, sodass ich sie beim ersten Anblick für eine Steinskulptur gehalten hatte. Der Garten reichte in weichen Terrassen den Hang hinunter. Das kleine Haus hatte einen sehr kleinen Pool, der allerdings ungewöhnlich tief ausgelegt schien, denn das Wasser, das schmatzend über den Rand lappte, leuchtete dunkelgrün. Von dort war auch der Duft zu mir auf die Montée gedrungen. Das Becken wurde nicht gechlort, sondern mit Ozon rein gehalten. Das ergab nicht nur eine schönere Färbung, es hinterließ keinerlei Geruch. Ich überquerte die Rasenfläche, vom Haus her war keine Regung zu vernehmen, kein Absetzen einer Tasse auf dem Unterteller oder das Rascheln einer Chipstüte, nicht einmal Radio, aber trotzdem fühlte ich mich beobachtet – von den beiden Fenstern im oberen Stockwerk, die schwarz und tierhaft blickten. Das Gurren der lehmfarbenen Vögel auf der Poolkante stoppte, dann stieben sie raschelnd auf. Und wie aufgewirbelt von ihrem theatralischen Geflatter empfand ich den Duft nun ganz stark, direkt vor meiner Nase sozusagen. Ich sah es glitzern aus einem Spalt in der Stützmauer, die aus hellen Brocken errichtet war. Tief drinnen wuchs also das legendäre Leuchtmoos, von dem Kerner von Marilaun in seinem Pflanzenleben berichtet hatte. Nachdem ich meine wie für eine Gursha aneinandergelegten Fingerspitzen behutsam in den Spalt geschoben hatte, um eine Probe der schimmernden Flechte einzufangen, fand ich meine Annahme bestätigt: Kühl und feucht lag auf meiner linken Hand nun eine vermeintlich glanzlose, morsche Substanz, die im Licht desTages weder Schimmern konnte noch leuchten wie smaragdfarbene Katzenaugen – so aber hatte das Leuchtmoos gerade noch aus der dunklen Tiefe heraus mein Auge becirct. Die große Anita Albus hielt in ihrem grundlegenden Werk zur Malerei selbst für dieses Phänomen noch eine Erklärung bereit: die Chlorophylkörperchen der Moospflanze seien selbst kugelförmig angeordnet, sodass diese selbst geringste Lichtmengen wie eine natürliche Discokugel einzufangen in der Lage sich befänden.
    Dass dies Moos aber auch duftete, und wie!, davon schrieben weder Kerner von Marilaun noch die Dame Albus, denn beide waren sie Julia Speer nie begegnet. Ich nahm so viel von der Substanz mit, als ich brauchen würde, um damit Julias und meiner Augen zu malen, denn vom Farbton her waren wir uns darin sehr ähnlich. Als ich mich durch das Gebüsch zwängte, musste ich laut lachen, als mein Blick als Erstes auf einen Motorroller fiel, der dort auf der gegenübergelegenen Seite des Weges abgestellt worden war – oder aufgestellt? Denn laut des Aufdrucks auf dem Tank der silbern lackierten Honda handelte es sich um ein Sondermodell namens Werther. Gab es vermutlich auch in Zitronengelb.
    Bis zu der Stunde, da ich von Julias Duft in den fremden Garten gelockt wurde, war es mir nicht aufgefallen, wie derart massig viele weiße Katzen es in der Altstadt gab (Cagnes war das Palermo und das Istanbul von Frankreich, aber das behielt ich des großen Friedens willens für mich); auf meinem fortgesetzten Weg machte es den Anschein, als gäbe es nur solche – en variation, da keine von ihnen ein derart papierweißes Fell hatte wie die in dem Garten, aber dennoch. Inklusive eines verschlagen
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