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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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gewesen war wie Julia Speer. Eine Viertelstunde, viele Initialen und etliche weiße Katzen später war ich zum hundertsten Mal seit dem Bücherregal aufs Neue und noch einmal unsterblich in sie verliebt.
    Die Nacht hatte ich schlaflos, aber glückselig verbracht. Als ich die Läden aufstieß, zeigte sich der Himmel, der den Tag der weißen Katze über blau und wolkenlos gewesen war, bedeckt. Aber auf eine für die Bucht der Engel typische Weise: nicht durch die Ballung einzelner Wolken, sondern durch Schichtung einzelner Lagen aus hellgrauen, weißen und bläulichen Tönen – ganz so, als hätte hier die Dame Albus über Nacht ihren Pinsel geführt, um mir eine Lehre in Fassmalerei zu erteilen. Ich hatte mir ja tatsächlich überlegt, einen Kurs zu belegen, doch dann war mir schon die Vorstellung peinlich, mich irgendwo bewerben zu müssen oder dann regelmäßig einen Kunstsaal aufzusuchen. Ich dachte an Martin Margiela, wie er das angegangen war, aber um einen Privatlehrer in dieser Gegend, weitab von Paris und Montpellier zu finden, wo der Hutmacher mit Paul Valéry warb und die Top Ten von Cézanne und Magritte auf die Tischdecken der Pizzaläden gedruckt wurden: Bonne chance! Vermeer würde sich die Malerei selbst beigebracht haben.
    In einem Rezept zur Herstellung des Ultramarin aus dem Lapislazuli fand ich den Rat, für das Reiben des Steins auf der Glasplatte einen arbeitslosen Künstler anzuwerben. Als ich noch über Beauty schrieb, hatte mir Kilian Hennessy erzählt, dass er, um Parfümeur werden zu können, die traditionelle Lehrzeit für den Beruf einer sogenannten Nase angetreten hatte. Das war damals bei einer der Meisternasen der Branche gewesen, der ihm vor Beginn der Lehrjahre eröffnete, dass es derer zwölf dauern würde, bis er zum ersten Mal mit einer Mixtur betraut werden würde. Zwölf Jahre! Bis dahin vergingen seine Tage mit dem Lernen durch Nachahmung der großen Kompositionen. Analysieren und Nachempfinden von Eau Sauvage, No 5, Bal à Versailles. Kulturpessimismus war mir fremd, aber diese Art des Analysierens durch den Menschen war mittlerweile aus der Mode gekommen, da in den Laboratorien der Kosmetikkonzerne die Gasspektralanalysegeräte sozusagen Einzug gehalten hatten. Vermittels derer Ergebnisse ließ sich eigentlich jeder Duft nachbauen. Selbst ein natürlicher Duftstoff wie Buchsbaum. Aber mit Düften war es wie mit den Schmerzen: zu jeder Duftnote behielt jeder eine speziell unterschiedliche Konnotation in der Seele zurück. Eigentlich.
    Andererseits bestärkte die Industrialisierung dieser Kunst einen Trend zum Kunsthandwerklichen, für den Parfümeure wie Serge Lutens oder K. Hennessy, der Duftverleger Frédéric Malle sich entschieden hatten – mit extremen Düften, die auf schwer zu beschaffenden, noch schwerer zu synthetisierenden Grundstoffen wie dem arabischen Edelschimmel Oud aufbauten. Mit einer Ideologie des Handwerklichen hatte das nichts zu tun. Denen ging es um Wertschätzung, um Qualität. Klar konnte ich mein Bild mit Acrylfarben aus der Tube malen – doch was sagte ich damit über meine Beziehung zu Julia? Bezeichnenderweise gab es in der Muppet Show zwar den Saxofonisten Floyd, es gab Schlagzeuger, Wissenschaftler und Schauspieler, aber keine Parfümeure, keine Schriftsteller, keine bildenden Künstler. Man wusste einfach nicht genau, wie die das machten. Dass es auch eine Art zu leben war, weil man für andere nicht sichtbar viel Zeit verbrachte mit der Rezeptur eines Parfums namens Untitled, mit dem Text oder mit einem Bild, bevor das Werk zu schnuppern, zu lesen, zu schauen war. Weil es manchmal gar nicht mehr leicht zu unterscheiden war, was noch Realität war und was Kommentar, brachte das auf lange Sicht eine Persönlichkeitsveränderung mit sich, deren Wesen nicht leicht zu beschreiben war, besonders nicht von den Intellektuellen selbst. Vielleicht so: Ihr Erleben war an Verweisen reich. Rainald Goetz war, von allen die ich kannte, der einzige Schriftsteller, den ich mir in der Muppet Show vorstellen konnte. Wenn es Rainald Goetz in meiner Kinderzeit schon als Schriftsteller in der Muppet Show gegeben hätte, dann wären es diese Sendungen gewesen, die mich für den Beruf des Schreibenden angeworben hätten. Denn das hätte eine mich ansprechende Figur ergeben, diese Puppe: ähnlich dem Laboranten von Dr. Honigtau-Bunsenbrenner, bloß eben mit einem schlohweißen Schopf und nicht von Angstzuständen getrieben, aber von Begeisterung. Mit einem
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