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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Autoren: Raimund August
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1.

    Sebastian sah auf seine Uhr und begann sich die letzten hundert Meter zum Großräschener Bahnhof in Trab zu setzen. Am Schalter stand zum Glück niemand und so konnte er die Fahrkarte nach Berlin noch lösen.
    Er rannte dann durch die Abfertigungshalle, wenige Leute kamen ihm entgegen. Deutlich hörte er die Trillerpfeife und das Schnaufen der sich langsam in Bewegung setzenden Lok. An der Sperre wollte man ihn schon nicht mehr durchlassen. Er lief einige Meter hinter dem anrollenden Zug her.
    Endlich das Trittbrett, eine hölzerne Treppenstufe am Waggon, auf die er springen konnte. Ein kurzer Satz, ein Griff an die Klinke der Abteiltür und direkt unter sich sah er schon die Signaldrähte und groben Schottersteine des Gleisbetts vorbeihuschen. Im leeren Abteil suchte er sich einen Fensterplatz, hängte seine grüne Joppe an einen Haken in die Ecke und setzte sich davor. Freund Hans-Peter Sasse mußte auch irgendwo im Zug sein. Er war froh, den Zug noch erwischt zu haben, der nun gemächlich durch Kiefernwald schaukelte, gesprenkelt mit goldenem Birkenlaub und dem Rot einzelner Ahornbäume im Zwielicht eines dunstigen Herbstmorgens. Es war ein Sonnabend Anfang November 1952. Im Nebeldunst dehnten sich jetzt Felder.
    Es würde wohl nicht richtig hell werden. Kleine Stationen, an denen weder jemand aus- noch einstieg tauchten auf. Lediglich ein einsamer Stationsvorsteher hob dort pflichtgemäß die grüne Kelle und stieß vorschriftsmäßig in seine Trillerpfeife. Dann ruckte auch der Zug wieder an.
    Beim Umsteigen auf dem Bahnsteig in Lübbenau wurde klar, der Freund war gar nicht mitgefahren. Sie wollten ja seine Schwester besuchen, Irene Sasse, im Flüchtlingslager in der Königsallee. Er entschloß sich kurzerhand mit dem    D-Zug nach Königswusterhausen alleine weiter zu fahren.

    Draußen regnete es. Dicke Tropfen zogen ihre Spuren gegen die Fahrtrichtung diagonal über die Abteilfensterscheiben. Ihm gegenüber saßen noch zwei Frauen. Die jüngere las in einem dicken Buch, die etwas ältere trug eine Brille, saß zurückgelehnt in der Ecke und sah zumeist zum Fenster hinaus.
    In Königswusterhausen stieg er in die S-Bahn um. Als er sich der Innenstadt näherte, traf ihn wieder der Anblick massiver Zerstörungen und weckte die Erinnerung daran, wie er 1948 mit Mutter und älterem Bruder zu einer Großtante nach Berlin in die Prinzessinnenstraße gefahren war. An mit Melde überwucherte Trümmerberge erinnerte er sich, aus denen einzelne Kamine trostlos in den Himmel ragten.
    Im Bahnhof Zoo stieg er dann wieder in die S-Bahn Richtung Grunewald um. Das hatte Hans-Peter ihm auch so beschrieben. Die Königsallee fand er bald. Ein Stück neben dem Hagenplatz sah er dann auch schon die Villa. Drinnen, gleich hinter der gläsernen Eingangstür, gab es so etwas wie eine Pförtnerloge.
    Hinter einer Scheibe erkannte er einen älteren Mann, der ihn beobachtete. Sebastian grüßte und fragte nach der Schwester seines Freundes: „Irene Sasse, die ist doch hier im Hause?“
    „Einen Moment bitte“, sagte der Mann, sprach etwas in ein Mikrofon und bekam eine Antwort. Der Pförtner nickte. „Was möchten Sie von Fräulein Sasse“, fragte er dann.
    Sebastian hob unschlüssig die Schultern. „Sie nur besuchen.“
    „Werden Sie erwartet?“
    „Nein, das nicht. Aber ihr Bruder kommt sicher auch noch, hat wahrscheinlich nur den Zug verpaßt.“
    Der Pförtner überlegte einen Moment. „Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?“
    Sebastian angelte ihn aus der Seitentasche der Joppe und reichte ihn durch’s Klappfenster.
    Der Mann schlug ihn auf, notierte sich etwas und gab ihn zurück. „Fräulein Sasse ist momentan nicht im Hause“, sagte er. „Sie können aber dort warten“, und er wies in eine geräumige Halle, in der Couchtische und Sessel standen.
    Sebastian folgte der Weisung. Ihm war warm. Er zog die Joppe aus, warf sie über eine Sessellehne und ließ sich danach selbst in einen der Sessel fallen. Wenn die aber jetzt bis zum Abend nicht kommt? Er konnte doch unmöglich hier so lange sitzen bleiben. An der Pförtnerloge vorbei führte eine Treppe in ein oberes Stockwerk. Es gingen auch dauernd junge Frauen und Mädchen dort hinauf oder kamen herunter. Er sah wiederholt auf seine Armbanduhr. Warum ist die überhaupt im Lager? Seine Schwester habe in Berlin einen englischen Diplomaten kennengelernt, hatte Hans-Peter mal beiläufig erwähnt. Das war jedenfalls ursprünglich der Anlaß gewesen, sie mal zu
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