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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte
Autoren: Hans-Christian Huf
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optimistisch erfüllt war von der Vision, dass die Menschheit mit der Entdeckung der Vernunft endlich allen Aberglauben und allen dummen Fanatismus abschütteln könnte. Dass Hexenwahn, Religionskriege und politischer Wahnsinn nach Jahrtausenden menschlicher Verirrung nun ihr Ende fänden und endlich der Verstand die Welt regieren würde. Wie absurd müsste es ihm erscheinen, dass ausgerechnet mit der vernunftgesteuerten Revision einer von schwersten Irrtümern geplagten Geschichte das blutigste Jahrhundert der gesamten Historie anbrechen sollte. Dass die Menschenverachtung vielerorts zum gesellschaftlichen Programm heranreifen würde. Und dass der religiöse Glaubensfanatismus in manchen Teilen der Welt so sehr erstarken würde wie im tiefsten Mittelalter. Wie konnte es dahin kommen? Wer sind wir, und warum sind wir so, wie wir sind? Das ist die Schlüsselfrage, die uns Menschen am Anfang des 21. Jahrhunderts vielleicht am nachhaltigsten beschäftigt und beschäftigen muss.
    Man kann auch anders fragen: Wie viel Veränderung erträgt der Mensch? Vermag die Menschheit überhaupt mit der rasanten Entwicklung der letzten hundert Jahre Schritt zu halten, ohne dass es zu heftigen Verwerfungen kommt? Denn was uns Menschen im letzten Jahrhundert an revolutionären Erkenntnissen und Veränderungen geradezu überrollt hat, das spottet im Vergleich zu den vergangenen Epochen jeder Beschreibung.
    Gesellschaftswissenschaftler haben einmal grob ausgerechnet, dass die Zahl der menschlichen Erfindungen in den vergangenen hundert Jahren den Gesamtbestand solcher Innovationen in den davor liegenden 40 000 Jahren übersteigt. Einen auch nur annähernd vergleichbaren Entwicklungsschub innerhalb von zwei, drei Generationen hat es niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte gegeben. Und ganz gewiss müssen wir erst lernen, mit der tagtäglichen Neuerung, mit dem schnellen Ablegen überkommener Vorstellungen und Gewohnheiten und der Akzeptanz neuer Denkmodelle umzugehen. Wie schnell können wir uns verändern und anpassen, ohne dass es zur individuellen und gesellschaftlichen Havarie kommt?
    Â»Bereitschaft zum Paradigmenwechsel« nennen die Wissenschaftler diese neue, von der Moderne geforderte Überlebensformel, die die alten festen Gewissheiten oft beunruhigend erschüttert und ein neues hohes Maß an Toleranz und Flexibilität verlangt – auch in Hinblick auf die neue Zumutung, dass selbst die größten Wahrheiten offenbar ein Verfallsdatum haben. Unsere Welt ist geistig, moralisch, ethisch unsicherer geworden. Was gestern unmöglich erschien, ist heute bereits große Mode. Alle Gewissheiten müssen in unserer globalisierten Welt tagtäglich neu ausgehandelt werden. In dem Rucksack, den der moderne Mensch auf seinen Schultern trägt, wiegt nicht allein die Geschichte schwer oder die Gegenwart mit ihren täglichen Problemen, sondern vor allem die Ungewissheit über ein Morgen, das vielleicht so ganz anders wird, als es das Heute ist.
    Konstruktiv ertragen lässt sich diese neue existenzielle Unsicherheit nur auf dem Fundament solider Information, Bildung und halbwegs ausgeglichener Wirtschaftsstrukturen. Aber weltweit gelten immer noch nahezu eine Milliarde Menschen als Analphabeten. Und nach Zahlen der Welternährungsorganisation FAO leiden derzeit 925 Millionen täglich an Hunger und Unterernährung. Die Ohren dieser Menschen sind besonders offen für die Einflüsterungen fanatischer Hassprediger. Die Hauptaufgabe der Zukunft muss es sein, Armut zu beseitigen und Bildung zu schaffen. Demokratie gedeiht nur auf dem Fundament einer aufgeklärten Aufklärung.
    Vor allem eines gehört ganz an die Spitze der To-do -Liste unserer Zukunft: Wir müssen uns selbst neu denken. Uns selbst müssen wir nachhaltig verändern, weniger die Welt, bei der es uns eher um Bewahrung gehen muss.
    Einer radikalen Veränderung des Lebens geht meistens eine tief greifende Kränkung voraus. So hat es schon Sigmund Freud gewusst, der diesen Beichtstuhl der Moderne, seine »Couch«, auf der wir immer noch liegen, erfand, um ins Unbewusste vorzudringen und in das Dunkel unseres Seins zu leuchten.
    Freud erkennt – fast bedauernd – an, dass die Neuzeit uns Menschen eine schwere, kaum zu bewältigende Last auf die Schultern gelegt hat: die tiefgreifende »Kränkung des Menschengeschlechts « . Der moderne Mensch, der selbst ernannte
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