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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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worüber ich mich gar nicht beklagen möchte, denn fotografieren kann ich selber nicht. Mich überfordert eher, dass dazu abwechselnd dröhnend laute Volksmusik gespielt wird und eine Panflötenversion von »Don’t cry for me, Argentina«.
    Das geht so dahin bis zu einer Raststation nahe Zagreb. Ich bin als erster draußen aus dem Bus, stürme in den Shop und verlange schwarzen Kaffee. Ein Sandwich bestelle ich dazu und danach noch eines, zusammen mit einem doppelten Loza, denn wer weiß, ob ich mir mit diesem verdächtig aussehenden Thunfischaufstrich nicht den Magen verderbe.
    Eine Weile steht Ingo neben mir. Wir wechseln Blicke. Er hat rote Flecken auf der Stirn. Ich deute auf die Schlange der Mitpilger vor der Toilette und nicke. Er nickt auch. Wir wissen wahrscheinlich beide nicht, warum.
    Ich komme gerade rechtzeitig zum Bus zurück, um zu hören, wie der Reiseleiter dem Rest der Schar empfiehlt, hier aufs Klo zu gehen: »Bei der nächsten Station kostets fünfzig Cent, hier nur dreißig.«
    Ich sehe zu, wie Rudi Würstel in einen mächtigen Kessel legt, der im Kofferraum steht. Der Kappenmann kommt herbei und verlangt nach einem Bier aus dem Vorrat neben dem Wurstkessel.
    »Aber das ist doch warm! Das muss ich erst kühlen! Oben hab ich kalte!«
    »Nein, ich will ein warmes.«
    Der Kappenmann kauft dem sichtlich angewiderten Rudi ein warmes Bier ab, das er in einer erstaunlichen Geschwindigkeit austrinkt. Ich vertrete mir abseits die Beine, wobei ich mich bemühe, im Schatten der Bäume zu bleiben, die den Parkplatz säumen, denn es hat weit über dreißig Grad. Meine Bewegungen sind etwas unbeholfen, weil ich zum ersten Mal seit langer Zeit Gymnastik mache. Ich bin einfach nur dankbar, im Freien zu sein.
    Der Reiseleiter pfeift schrill, und alle traben zu ihm. Zwei Minuten später schaukelt der Bus wieder über die Autobahn. Ich muss ständig an die Würstel im Gepäckraum denken. Der Diavortrag ist allerdings noch nicht zu Ende.
    »Die Frau, die ihr da hinten rechts seht, die war Volleyballerin! Hat gut gespielt, bei einem Verein, sogar im Nationalteam, und in einer Bank gearbeitet hat sie auch. In Medjugorje hat sie den Ruf empfangen, und vorletztes Jahr ist sie in ein Kloster in der Nähe von Salzburg eingetreten.«
    »Jööööh«, tönt es von hinten.
    »Und der da links, der Junge, Starke, der ist auf einer späteren Pilgerfahrt gestorben. Ganz friedlich ist er eingeschlafen und heimgeholt worden. Da kann man schon sagen, das ist eine Gnade. Nicht der Zeitpunkt, aber der Ort. Ja, wir wissen halt alle nicht, wann der andere Ruf kommt, den kann auch ein Junger hören.«
    Mir kommt es vor, als würde er mich mit einem Blick streifen. Er redet weiter, doch ich höre nicht mehr zu. Diese Sache mit dem Ruf, die gefällt mir nicht. Im Gegenteil, die Aussicht auf einen Tod in Medjugorje macht mir eine Heidenangst. Vom Sterben halte ich sowieso nicht viel, aber sollte mir das da unten passieren, würde irgendeiner meiner Freunde bei der Trauerfeier garantiert loslachen. Ichhabe keine Lust, dass es später auf meinem Grabstein heißt: »Geboren in Graz, gestorben in Medjugorje«. Auf die Gnade kann ich verzichten.
    Während ich zu den inzwischen vertrauten Panflötenklängen Bilder von Radkameraden betrachte und Worte wie »Erscheinungsberg« und »Kreuzberg« und »Pater Slavko« fallen, denke ich immer ernsthafter über dieses Thema nach. Ich hatte schon bei meinem ersten Besuch in Neapel fürchterlich Schiss, weil ich dauernd an den Spruch »Neapel sehen und sterben« denken musste. Und jetzt als Ungläubiger im Wallfahrtsort, gezeichnet vom Exzess – der Teufel schläft nicht.
    Ich setze die Kopfhörer auf, höre Musik, doch die Gedanken lassen sich nicht verbannen. Ich überlege, ob ich eine Xanor in Griffweite habe oder ob die im Koffer liegen. Aber wäre das vernünftig? Würde ich damit nicht dem bösen Schicksal in die Hände spielen?
    Auf dem Höhepunkt meines inneren Konflikts fährt der Bus erneut auf einen Rastplatz, und Rudi verkündet, dass es jetzt Würstel gibt. Ingo stürzt an mir vorbei ins Freie. So vernimmt er nicht mehr die Ansprache des Reiseleiters, der darum bittet, einige von uns mögen beim Austeilen von Würsteln, Brot, Ketchup und Senf helfen.
    Draußen finden die meisten Pilger zu kleinen Gruppen zusammen. Es ist heiß. Rudi baut einen Tisch auf, der Reiseleiter steht daneben und gibt Anweisungen. Der alte Kappenmann geht Rudi zur Hand. Ohne viel nachzudenken, lege ich Pappteller
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