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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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frisch, das habe ich gerade im Shop gekauft …«
    »Na, ist ja in Ordnung, ich hab nur gefragt.«
    Ich habe den Eindruck, er ist nicht wirklich überzeugt, er hält mich ohne weiteres für fähig, ihn um zwei Euro zu prellen. Ich versuche, diesen falschen Eindruck von mir durch begütigende Worte zu korrigieren, doch da wackelt der Reiseleiter schon mit seinem zerschlissenen Geldbeutel weiter nach hinten. Ich erhasche einen Seitenblick von einer der Fundamentalistentöchter. Ich drehe mich zu ihr hin und lächle sie an. Sie schaut weg.
    Zu meiner Erleichterung hat die Radtour- DVD einen Defekt. Alle Versuche Rudis, sie wieder in Gang zu bringen, scheitern. Das Bild steckt fest. Zu sehen ist ein großes Kreuz auf einem weiten Feld.
    »Na, macht nichts«, sagt der Reiseleiter. »Vielleicht kann man das ja auch als Zeichen auffassen. Denn wissts ihr, das ist eines jener Kreuze dort, in die ein Stück vom Originalkreuz Christi eingelassen wurde.«
    Es wird still im Bus.
    »Es gibt mehrere dieser Kreuze in der Gegend. Seit acht Jahren stehen sie da mit dem Stück vom Kreuz Christi, und die Bauern in der Gegend sagen, seither hams auf den Feldern keinen Hagel ghabt.«
    »Jöööh!«
    »Oh Wow!«
    »Na, macht nichts. Ich spiel euch jetzt eine Aufnahme von Radio Maria vor, in der Pater Slavko spricht. Pater Slavko, das kann man sagen, war die Seele der Gemeinde von Medjugorje, und bei meiner dreihundertsten Fahrt runter hat er eine Messe gelesen und mich gesegnet, mich und alle Pilger, die noch mit mir kommen werden. Er hat also auch euch gesegnet.«
    »Jööööh.«
    »Wow.«
    »Am selben Nachmittag ist er tot umgefallen. Um halb zwei hab ich noch mit ihm geredet, um halb vier war er tot. In der Sendung spricht er. Hörts gut zu!«
    Ich horche auf. Gesegnet bin ich noch nie worden, zumindest kann ich mich an nichts Derartiges erinnern, wenn man den Segen Urbi et orbi ausnimmt, den ich Johannes Paul II. einmal zu Ostern erteilen sah und von dem es dann laut Kommentator der österreichischen Übertragung hieß, er gelte diesmal auch für all jene, die über das Fernsehen dabei seien. Ich frage mich, was die Segnung dieses toten Priesters für die Menschen rund um mich bedeutet. Undhat er mich damit auch gemeint? Bin ich ein Pilger? Eigentlich bin ich ja nur jemand, der mit Pilgern unterwegs ist. Oder ist man da automatisch ein Pilger?
    Es folgt eine Sendung von »Radio Maria«, bei der Rudi und der Reiseleiter aus den alten Boxen alles herausholen. Zu Beginn hört man irgendwelche berühmten Glocken läuten, zumindest glaube ich das verstanden zu haben. Ein Sprecher sagt etwas dazu, dann folgen für eine Weile Gospelkantaten. Schließlich stellt der Moderator Pater Slavko als seinen Gast vor und kündigt an, sie würden über die Bedeutung der Beichte sprechen und Anrufe von Zuhörern entgegennehmen.
     
    Ich habe die Augen geschlossen. Der Bus wiegt mich im Halbschlaf. Trotz der Klimaanlage schwitze ich stark, hinter meiner Stirn pocht es. In diesem Dämmerzustand höre ich, wie notwendig es sei zu beichten, wie wichtig es sei, alles zu bekennen, auch die kleinste Sünde, und keine Tat für zu geringfügig für die Beichte zu halten, weil sich die Menschen sonst zu Gott aufschwingen würden. Zeit dehnt sich, Zeit vergeht, irgendwie.
    Ich öffne die Augen. Pater Slavko spricht nach wie vor aus dem Radio. Alles lauscht andächtig. Ingo liegt schlafend, ohnmächtig oder tot über seine beiden Sitze ausgestreckt, in seinen Ohren stecken Kopfhörer. Ich stehe auf und tippe dem Reiseleiter auf die Schulter, der ebenfalls auf die Sendung konzentriert ist, obwohl er sie bestimmt schon dreihundertmal gehört hat.
    Er schaut mich über die Schulter hinweg an. Ich mache das internationale Zeichen für Trinken. Er nickt, ohne mich anzusehen, kramt ein Mineralwasser aus dem Kühlfach,und als er sich mit seinen eckigen Greisenbewegungen zu mir umdreht, halte ich ihm die Münzen bereits entgegen.
    Um ihn vielleicht doch noch von meinen ehrlichen Absichten zu überzeugen, gebe ich ihm ein großzügiges Trinkgeld. Er steckt es schnell ein und versinkt gleich wieder in den Ausführungen Pater Slavkos. Auf dem Weg zurück zu meinem Platz sehe ich, wie Intschu-Tschuna in eine Schnitzelsemmel beißt.
    Mittlerweile geht es um Abtreibung. Ich höre, dass Frauen, die ihr Kind abtreiben, damit eine entsetzliche Sünde begehen, von der sich offenbar nicht ganz klar sagen lässt, wie ihr bei der Beichte zu begegnen ist. Ich höre Worte wie Buße,
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