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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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schlängelt. Man kann wohl von hier aus schon bis nach Bosnien sehen. Links und rechts ragen Karstberge auf, die Wälder sind dürr und wirken ziemlich brandgefährdet aus. Obwohl es schon später Nachmittag ist, glüht die Sonne so stark wie in Wien allenfalls während der Mittagszeit, und das auch nur an den drei wirklich heißen Tagen im Jahr.
    Ich atme tief ein und aus, ein und aus, endlich klare, unklimatisierte Luft. So gut geht es mir, dass ich mich nach einem Abstecher auf die Toilette zu einer Gruppe von Pilgern vor dem Bus geselle, wo der Reiseleiter gerade eine Geschichte erzählt. Den Hauptteil habe ich offenbar versäumt, ich höre nur noch das Ende.
    »Dieser Pfarrer war ja ein bissl strenger. Niemals hart, aber streng. Und deswegen, weil wir dort hängen geblieben sind, haben wir Rosenkranz gebettet bis zur Vergasung.«
    Er lacht, die anderen schmunzeln. Ingo geht zur Seite und zündet sich die nächste Zigarette an. Dabei rennt er den Liliputaner über den Haufen, was einen kurzen Tumult zur Folge hat. Die Helferin der Gehbehinderten hilft zusammen mit dem Postboten dem Gestürzten auf, Ingo entschuldigt sich, der Reiseleiter schaut misstrauisch drein. Ich verziehe mich hinter den Bus, wo ich Rudi dabei zusehe,wie er im Gepäckfach Ordnung macht, bis der Reiseleiter seinen gellenden Pfiff ausstößt, obwohl schon alle versammelt sind.
    Nachdem wir die Raststation verlassen haben, legt Rudi ein neues Video ein. Es handelt vom Leben Pater Slavkos, der darin ebenfalls interviewt wird, nur wenige Tage vor seinem Tod. Während ich mir denke, na ja, der alte Herr sieht ja auch wirklich ein bisschen fällig aus, 75 ist der sicher, höre ich, er war 53. Aber wir erfahren auch gleich genug über sein Leben, das erklärt, wie man so alt aussehen kann.
    Pater Slavko dürfte pro Nacht höchstens vier Stunden geschlafen haben. Den Rest seiner Zeit widmete er den Hilfesuchenden, der Gospa, den Erscheinungen, den Seherinnen und Sehern, vor allem seiner Gemeinde. Er scheint da ein Dorf voller Exjunkies mitbegründet oder zumindest betreut zu haben, Cenacolo, denn im Video heißt es, »Auf seine Burschen in Cenacolo konnte er jederzeit zurückgreifen«. Hier ein Mädchenheim, dort eine Schwesternschule, die Junkies kamen und klopften Steine, bauten und beteten.
    Auch die Seherinnen und Seher berichten über Pater Slavko. Einst waren sie arme Bauernkinder, die im Alter von acht oder zehn Jahren ihre erste Erscheinung hatten, nun sind sie Mitte dreißig und verheiratet, jedenfalls die meisten von ihnen. Pater Slavko haben sie lange gekannt, und sie wissen viel über ihn zu erzählen. Sie wirken recht unterschiedlich. Die Frau, die am häufigsten zu Wort kommt, macht einen sehr sympathischen Eindruck, der Mann hingegen hat einen unsteten Blick und sieht mehr aus wie ein balkanischer Fußballmanager.
    »Die letzte Messe hat er für mich gelesen, am Vormittag vor seinem Tod«, sagt der Reiseleiter nicht zum ersten Mal.»Zwei Stunden bevor er gestorben ist, bin ich noch bei ihm gsessen und hab mit ihm gesprochen.«
    An der bosnischen Grenze wird das Video für einige Minuten unterbrochen. Die meisten Pilger bleiben auf ihren Plätzen sitzen, von den Uniformen der Zöllner und der fremden Umgebung sichtlich eingeschüchtert. Ich steige mit zwei oder drei anderen aus, strecke mich, mache ein paar Schritte. Von draußen beobachte ich, dass die Fundamentalistenmutter weint und der Liliputaner ab und zu verstohlen sein riesiges Kreuz küsst. Ich schaue in die karge Landschaft, bis wir einsteigen müssen und ein forscher Zöllner unsere Pässe kontrolliert. Eine Durchsuchung unseres Gepäcks, die laut Aussage des Reiseleiters durchaus vorkommen könne, unterbleibt.
    Nach der Grenze höre ich aus einem Gespräch des Reiseleiters mit einer der Fundamentalistinnen heraus, dass wir diese Nacht in einem anderen Hotel schlafen müssen. Ursprünglich hatten die beiden über das Fasten geredet. Die Fundamentalistin scheint sich über die Würstel an Bord beschwert zu haben, mit dem Hinweis darauf, es sei Mittwoch, worauf der Reiseleiter wiederholt hatte, für Pilger gebe es da Dispens. Auf nicht nachvollziehbare Weise kam das Hotel ins Spiel, und nun greift der Reiseleiter zum Mikrophon und verkündet, mit der Organisation hätte leider nicht alles geklappt, wir müssten heute Nacht bei einer gewissen Ljudmila schlafen – »im neuen Hotel!«.
    Die Pilger murmeln ihr Einverständnis. Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig.
    Danach
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