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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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geht es mit dem Video weiter. Es wird einiges über die Seherinnen und Seher berichtet, von denen zwei oder drei noch tägliche Erscheinungen haben, immer zurselben Zeit, was ich sehr praktisch finde, und ich rechne es der Gospa hoch an, dass sie sich auch auf die Sommerzeit einstellt. Die übrigen zwei oder drei »empfangen« sie nur noch einmal im Jahr an einem bestimmten Tag, weil sie schon »alle zehn Geheimnisse enthüllt bekommen« hätten. Sie schließen jedoch nicht aus, dass die Gospa ihnen zu einem späteren Zeitpunkt wieder öfter, gar täglich erscheinen könnte.
    Der umtriebige Pater Slavko spielt auch hierbei eine Rolle, er hat den Seherinnen geholfen, die Botschaften der Gospa in andere Sprachen zu übersetzen, und ist allen ein Freund und Vertrauter geworden. Mit dem Ehemann einer der Seherinnen, einem Ökonomen oder Betriebswirt, hat er eng zusammengearbeitet. Vor allem aber hat er sein Leben der Gospa geweiht.
    Das Wort Gospa gefällt mir immer besser. Es gibt Wörter, nach denen werde ich geradezu süchtig. Nach manchen, weil sie so schön klingen, nach anderen, weil sie so unbeholfen klingen oder armselig und naiv oder drollig und obszön. Gospa ist so ein Wort, überdies sucht mich eine wirklich sehr schweinische Assoziation dazu heim, und da hilft es gar nichts, dass Gospa einfach nur Gottesmutter bedeutet.
    Gnadenstätte ist ebenfalls ein Wort, das seit einiger Zeit häufig fällt und mir Freude macht, allerdings nicht im gleichen Maße wie Gospa. Gospa! Die Gospa! Ich muss mittlerweile jedes Mal lachen, wenn ich das Wort höre. Bei betten geht es mir auch so, mir ist aufgefallen, dass nicht nur der Reiseleiter, sondern fast alle Leute hier »betten« statt »beten« sagen. Zur Gospa an der Gnadenstätte betten! Ich bin entzückt.
    Ich reiße mir die nächste Dose Kaffee auf und bemühemich, an nichts anderes zu denken. Trotzdem stehe ich immer wieder kurz vor einem hysterischen Lachanfall, wenn ein selig dreinblickender Mensch von der Gospa berichtet. Dieser Unernst ist mir gar nicht recht, denn ich sitze hier ja, weil ich etwas über den Glauben dieser Menschen und vielleicht gar über meinen eigenen erfahren will, und ich möchte nichts verwitzeln. Schon gar nicht möchte ich, dass jemand glaubt, ich wolle ihn auslachen, denn das würde wirklich nicht der Wahrheit entsprechen.
    Das Lachen vergeht mir sowieso, als der freundliche tote Pater in einem Interview anfängt, gegen die Abtreibung zu wettern. Ich höre nur noch halb hin. Die Fundamentalistenmutter starrt gebannt auf den Bildschirm und weint. Ich merke, wie erschöpft ich bin. Es ist halb sieben Uhr abends, und ich stecke mit Unterbrechungen seit mehr als zwölf Stunden in diesem Bus. Und dieser Bus ist nun in Bosnien. 
     
    Das Ende des Videos lässt nichts zu wünschen übrig. Erst wird von der Frau, die Pater Slavko täglich auf einen der Berge begleitet hat, die Geschichte seines Todes erzählt, dann sieht man ihn sterben. Also beinahe. Er habe gewankt, sich auf einen Stein gesetzt, zu ihr, der Frau gesagt, er könne nicht mehr, und sei Sekunden darauf zusammengebrochen. Ein herbeikommender Arzt habe nichts mehr tun können. Darauf folgt eine Szene aus einem zufällig aufgenommenen Amateurvideo, in der der arme Kerl etwas orientierungslos auf diesem Berg umhertaumelt. Wenn die Schilderung der Frau stimmt, hat der Pater bereits eine Minute später nicht mehr gelebt.
    Eine der Seherinnen, die sympathische Frau in meinemAlter, berichtet danach von der Offenbarung der Gospa, Pater Slavko sei direkt in die Heiligkeit eingegangen.
    »Jöööh!«, tönt es von hinten.
    Ich als theologischer Laie kann die Aussage der Seherin natürlich nicht ganz deuten. Erst nach einer Weile höre ich, wie Jim der Amerikaner dem ebenfalls ahnungslosen Ingo in drolligem Deutsch erklärt, dass der Mann nun als Heiliger gilt und verehrt wird, jedenfalls hierorts. Beim Papst in Rom sieht die Sache anders aus.
    Im Bus herrscht nach dem Video Ergriffenheit. Mir ist schlecht, aber das liegt wahrscheinlich an den Unmengen von Kaffee und an der kurvenreichen Strecke. Die Autobahn haben wir längst hinter uns gelassen, nun legen wir die letzten Kilometer bis zur Gnadenstätte zurück.
    Der Reiseleiter erzählt Geschichten über die Umgebung. Bei dieser Kirche habe einer der Seher vorgegeben, austreten zu müssen, um die kommunistischen Häscher zu täuschen, die streng gegen die Wundergläubigkeit ihrer Landsleute vorgegangen sind, bei jenem Kreuz sei die
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