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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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einer Luftfeuchtigkeit, die mich an den thailändischen Urwald erinnert, deshalb stelle ich mich vor das Haus. Einige von der Gruppe folgen mir. Lust zu Gesprächen scheint niemand zu haben, aber wahrscheinlich sind wir alle zu müde.
    Mir fällt der Andenkenladen gegenüber ins Auge. Mit dem Wasserglas in der Hand überquere ich die Straße und betrachte die Auslage. Holzkreuze, Jesusbilder, aber vorallem: Gospa. Gospabilder, Gospastatuen jeder Größe, Gospakaffeetassen, Gospaschlüsselanhänger, Gospaschnapsgläser, Gospatischtücher, dazwischen Rosenkränze, Kerzen (Gospa) und Ansichtskarten.
    Nach vierzehn Stunden Busfahrt überfordert mich das ein wenig, und so gehe ich lieber vor dem Hotel auf und ab. Die unmittelbare Nähe der schweigenden Mitpilger an der Tür empfinde ich aber auch nicht als angenehm, und daher spaziere ich nach hinten über den Parkplatz, am Bus vorbei, bis sich vor mir nur noch ein weites, unbebautes Feld erstreckt. Ich wende mich nach links, und nun steht vor mir, keine zehn Schritt entfernt, ein geschorenes Schaf, das eine Art Jeans trägt und dem wohl die daneben feixenden Kinder einen alten Strohhut aufgesetzt haben.
    Die Kinder beobachten mich. Als ich mich zum Gehen wende, rufen sie mir etwas zu. Ich kehre lieber zur Hoteltür und zu den Mitpilgern zurück, die in exakt der gleichen Haltung schweigen wie vorhin.
    Der Postbote, der schon im Speisesaal meine Nähe gesucht hat, taucht neben mir auf. Es folgt Jim der Amerikaner, auch der Kappenmann gesellt sich zu uns, ebenso einer, der mit seiner Gelfrisur und der sportlichen Kleidung aussieht wie ein Tennislehrer und der seine falsche Ray Ban offenbar zu jeder Tages- und Nachtzeit trägt.
    So etwas wie ein Gespräch entwickelt sich auch jetzt nicht, denn jeder stammelt nur vor sich hin und wartet darauf, dass ein anderer den Faden aufnimmt. Ich höre den abgehackten Ausführungen des Postboten zu, nicke und schaue stumm auf ein Ungetüm von Marienstatue in der Auslage gegenüber, bis im Speisesaal alles in Bewegung gerät, weil Frau Ljudmila die Suppenschüsseln aufträgt.
    Der Reiseleiter sitzt am ersten der drei großen Tische, und so nehmen Ingo und ich in der Mitte des zweiten Platz. Vor uns dampft es aus einer Schüssel. Alle Pilger sind versammelt, mit Ausnahme der vier Fundamentalistinnen, die wohl gerade in ihren Zimmern über uns ihre Brotrinden verzehren. Rechts von mir sitzt eine Frau, die nicht so recht hierherzugehören scheint, man sieht ihr einen anderen Bildungshintergrund an. Seltsamerweise scheint sie mit dem Tennislehrer unterwegs zu sein, denn der sitzt neben ihr auf der anderen Seite.
    Gerade wollen sich die zwei Bäuerinnen uns gegenüber bedienen, da ertönt ein Ruf des Reiseleiters, der zum Tischgebet mahnt. »Wir beten auch für die Ungläubigen, die die Liebe Gottes noch nicht erfahren haben«, sagt er, ehe er loslegt, und streift Ingo und mich wieder mit einem Blick aus seinen zusammengekniffenen Augen.
    Das unheimliche Gemurmel geht von neuem los. Ingo und ich sitzen steif da und schauen in die Luft. Doch auch dieses Gebet endet irgendwann, und die Pilger machen sich über die Suppe her. Jeder bedient sich selbst, kein einziger, soweit ich sehen kann, schöpft einem anderen den Teller voll und nimmt sich hinterher. Ingo und ich sind am Schluss dran.
    Die Tomatensuppe kommt bei allen sehr gut an, vor allem bei den beiden Bäuerinnen, die Ingo darum bitten, dass er ihre Seniorenhandys einstellt, damit sie hier telefonieren können.
    »Wieso haben Sie hier Empfang?«, fragt er böse. »Wieso habe ich keinen?«
    Der Hauptgang besteht aus einer riesigen Platte voller Fleisch sowie einer voller verschiedener Gemüsesorten. Ichbediene die Leute um mich herum, nehme mir was vom Gemüse und bin dann fertig. Während ich misstrauisch auf meinen Teller schaue, höre ich in meiner Umgebung wohlwollende Worte wie »sie tragen gut auf«, »große Portionen« und »sie lassen sich nicht lumpen«, was mich über das pluralische »sie« nachsinnen lässt. Wer sind sie? Ich habe bislang nur einen einzigen Menschen gesehen, der zur Pension gehört, und das ist Frau Ljudmila. Wer ist mit »sie« gemeint? Die Menschen hier in Medjugorje im allgemeinen? Die Bosnier? Die Balkaner?
    Nach dem Essen gibt der Reiseleiter den Plan für den morgigen Tag bekannt. 7.30 Uhr: Frühstück. 9.00 Uhr: Messe. 10.30 Uhr: Ausflug nach Cenacolo. 13.00 Uhr: Übersiedelung ins Hotel Zvijezda mit Mittagessen. 15.30: Vortrag von Schwester Annalinda
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