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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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keinen Zugang dazu, auch wenn ich von den Ereignissen unmittelbar betroffen bin. Ich habe Streit mit einem Kerl am Nebentisch, der kurzzeitig auszuarten droht, doch das Feuer wird irgendwie gelöscht, von Ingo oder sonst wem, und ich habe daran keinerlei Anteil. Ich sehe zu, wie Menschenmassen an uns vorbeiströmen. Die Menschen gehen geduckt, als hätten sie eins übergezogen bekommen. Mir fällt auf, dass ich hier noch kein einziges Lachen gehört habe.
    Gerade als ich aus meiner Betäubung aufwache, stehen der Postbote und der Liliputaner wie aus dem Boden gewachsen vor uns.
    »Warts ihr net bei der Anbettung?«
    »Nein.« – »Nein.«
    »War schön.«
    »Ja?« – »Ja, schön?«
    »Dürf ma uns zu euch setzen?«, fragt der Liliputaner.
    »Klar.« – »Na sowieso.«
    Träge rücken wir den beiden die Stühle zurecht. Ich habe zwar keine Lust auf ein Gespräch, aber das sind wenigstens mal Leute, die auf einen zugehen, da darf ich jetzt nicht herumzicken. Zumal ich etwas von ihnen wissen will.Ich warte, bis die beiden ihr Bier bestellt haben. Nachdem der Kellner des Zorns abgedampft ist, frage ich vorsichtig:
    »Was ist eigentlich eine Anbetung?«
    »Ja, das wollte ich auch schon fragen«, sagt Ingo.
    »Eine Anbettung …« Der Postbote reibt sich das Kinn. »Na ja … es ist wie eine Messe … eine Anbettung.«
    »Aber wer wird angebettet? Wird nicht immer angebettet?«
    Ingo gibt mir unter dem Tisch einen Tritt.
    »Schon … es ist … eine Anbettung, da ist vorne diese …«
    »Es gibt keine Predigt«, sagt der Liliputaner.
    »Gut, also wie jetzt, steht jemand vorn?«
    »Ja, da steht schon jemand vorn … also … da ist schon ein Pfarrer, ja … Ein paar sind auf Knien nach vorne gerutscht.«
    »Was? Wer? Wohin?«
    »Na, zum Altar.«
    »Da ist jemand auf Knien nach vorne gerutscht?«
    »Ja, viele. Das passiert hier oft.«
    »Und wer hat das gemacht?«
    Der Liliputaner schneuzt sich.
    »Keiner von unserer Gruppe. Hab die Leute nicht gekannt.«
    »Ja und … wieso … nein, anders: Was ist jetzt also eine Anbettung?«
    Der Liliputaner murmelt etwas in sein Taschentuch. Der Postbote wiederholt, was er bereits gesagt hat: Es sei wie eine Messe, es gebe keine Ansprache.
    Ich probiere es noch eine Weile, aber wir kommen nicht weiter. Eigentlich ist mir die Sache nicht so wichtig, alsoziehe ich mich wieder zurück, winke nach einem neuen Kaffee und lasse Ingo reden.
    Mein Freund ist wirklich ein Meister der Kommunikation. Bei mir spürt mein Gegenüber ziemlich schnell, ob er mich aufrichtig interessiert oder mir eher gleichgültig ist. Ingo merkt man nichts dergleichen an, ich halte es theoretisch für möglich, dass sogar ich ihn nerve. Binnen fünf Minuten hat er herausbekommen, dass der Postbote EDV -Spezialist ist und die Computerabteilung einer großen Firma leitet, und der Liliputaner macht Möbeldesign. Ich kann mir weder unter dem einen noch unter dem anderen viel vorstellen.
    »Und ihr? Was arbeitets ihr?«
    »Ich bin Fotograf«, sagt Ingo.
    »Und du?«
    Ich winde mich. Ich kann einfach niemandem, der sie nicht kennt, von meinen Büchern erzählen. Das hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, ich müsste meine Bücher und diesen innersten Teil von mir beschützen und ich würde Verrat an ihnen begehen, wenn ich ihre Titel nannte. Ich weiß, dass das eine hysterische Haltung ist, aber ich kann mir nicht helfen. Es geht mir überall so, nicht nur hier bei der Gospa. Vor zehn Jahren habe ich in ähnlichen Situationen geantwortet, ich sei Student, doch das geht mittlerweile nicht mehr.
    »Ich bin in der Verlagsbranche«, sage ich.
    »Verlagsbranche? Was machst du da?«
    »Viel. Verschiedenes. Lesen. Schreiben. Lektorat.«
    Das ist vage und langweilig genug, nun wollen sie mehr von Ingo wissen. Doch auch er hält sich ziemlich bedeckt, und ich spüre, aus dem gleichen Grund wie ich. Das Interesseder beiden ist ohnehin oberflächlicher Natur, denn bald sitzen sie nur noch da und drehen ihr Bierglas in der Hand. Ich kann nicht aufhören, dem Liliputaner dabei zuzusehen, er hat so kleine Hände.
    »Lassen wirs für heute gut sein?«, fragt Ingo mit einem Blick in den Himmel. »Es gibt einen Perseidenschauer.«
    »Einen was?«, fragt der Liliputaner.
    »Einen Sternschnuppenschauer«, sagt der Postbote. »Heute die ganze Nacht!«
    Sogar um die Rechnung zu bekommen, muss man dem Kellner nachlaufen. Ich zahle für alle, ohne dass sie es bemerken, und wünsche schnell eine gute
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