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Unterwegs im Namen des Herrn

Unterwegs im Namen des Herrn

Titel: Unterwegs im Namen des Herrn
Autoren: Thomas Glavinic
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Namen, der Besitzer meldet sich, dann bring ich ihm die Sachen. Die Pilgerpässe hängts euch bitte um, damit man den Namen sieht. Vorher noch eine Kleinigkeit: Während der Pilgerreise wollen wir uns als Brüder und Schwestern im Glauben begegnen und uns duzen. Und dann muss in Slowenien Rosenkranz gebetet werden, da brauchen wir einen Vorbeter oder eine Vorbeterin. Könnts euch schon überlegen, wer von euch will.«
    Wir wollen was? Rosenkranz? Vorbeter? Botschaft von wem? Ich schaue zu Ingo zurück, der nickt nur, und unter seinem Auge zuckt es.
    Ich denke darüber nach, dass der Reiseleiter nie von beten spricht, er sagt immer »betten«. »Vorbetten«. »Vorbetter«. »Es muss Rosenkranz gebettet werden.« Das gefällt mir sehr.
    Lange dauert es nicht, da höre ich meinen Namen. DerReiseleiter schaut über mich hinweg, als er mir den Pilgerpass und einen losen Zettel reicht.
    Der Pilgerpass ist eine Art Visitenkarte, an die eine Schnur befestigt ist. Neben einem Bild der Jungfrau Maria steht mein Name. Auf dem Zettel ist links das Logo des Reisebüros, rechts ebenfalls das Bild der Jungfrau zu sehen, und über dem Bild der Muttergottes findet man kleingedruckt die genaue Anschrift des Reisebüros. Unter der Überschrift »Botschaft der Königin des Friedens in Medjugorje« steht:
     
    Lieber Thomas,
    Von neuem rufe ich dich auf, mir mit Freude zu folgen. Ich möchte euch alle zu meinem Sohn und eurem Erlöser führen. Bist du dir nicht bewusst, dass du ohne Ihn weder Freude noch Frieden und keine Zukunft, sowie kein ewiges Leben hast. Deshalb, mein lieber Thomas, nutze diese Zeit des frohen Gebetes und der Hingabe.
    Danke, lieber Thomas, dass du meinem Ruf gefolgt bist.
     
    Darunter, kleiner gedruckt:
     
    BOTSCHAFT DER GOSPA AN MIRJANA, AM 2. AUGUST 2010
    Liebe Kinder!
    Heute lade ich euch ein gemeinsam, mit mir, zu beginnen, das Himmelreich in euren Herzen zu errichten, zu vergessen, was für euch persönlich ist und, durch das Beispiel meines Sohnes geleitet, an das zu denken, was Gottes ist. Was erwartet er von euch? Erlaubt Satan nicht, euch die Wege des irdischen Wohlergehens zu öffnen, die Wege ohne meinen Sohn. Meine Kinder, sie sind trügerisch und von kurzerDauer. Denn mein Sohn existiert. Ich biete euch ewiges Glück und den Frieden, die Einheit mit meinem Sohn, mit Gott. Ich biete euch das Reich Gottes. Ich danke euch.
     
    Am österreichischen Grenzübergang gibt es keinen längeren Aufenthalt. Als wir kurz hinter einem anderen Bus zu stehen kommen, klebt Rudi ein riesiges Muttergottesbild vorn auf die Windschutzscheibe. Hinter mir sind seltsame Geräusche zu hören, es klingt, als hätte sich jemand verschluckt.
    Im Niemandsland zwischen Österreich und Slowenien machen wir Toilettenpause. Der Reiseleiter treibt uns bald wieder mit einem schrillen Pfiff zusammen und fragt schon in kleiner Runde an der Tür, wer sich zum Vorbetten meldet. Alle steigen stumm und mit gesenktem Kopf ein.
    Während wir im Bus auf Nachzügler warten, greift der Reiseleiter zum Mikrophon.
    »An dieser Grenze ist es gewesen, da hat eine Pilgerin einmal eine Erweckung gehabt. Genau da drüben war es. Sie war eine Zweifelnde und Suchende. Sie ist neben mir gestanden. Plötzlich packt sie mich am Arm und sagt: ›Du, ich spüre etwas, und ich möchte wissen, spürst du es auch?‹ Na, ich hab nichts gespürt und ihr das auch gesagt. Sie ist fünf Minuten dagestanden, dann ist sie in Tränen ausgebrochen. Einen Monat später war sie Ordensschwester.«           
    »Jööööh«, sagt die schöne alte Bäuerin verzückt.
    »Wow«, ruft Jim der Amerikaner und klatscht.
    »Sie hat zu mir gesagt: ›Eigentlich muss ich nicht mehr mitfahren, denn ich weiß alles, was ich wissen wollte. Aber aus Dankbarkeit fahre ich mit.‹ Schwester Antonia heißtsie jetzt. Vergangenes Jahr war sie zum fünfundzwanzigsten Mal unten.«
    Der alte Kappenmann steigt ein und versucht mit dem Reiseleiter ein persönliches Gespräch zu beginnen, wird von diesem jedoch schroff nach hinten gescheucht.
    Wir rollen auf den slowenischen Grenzposten zu. Ein vollbärtiger Beamter winkt uns durch. Rudi steuert den Bus wieder auf die Autobahn, und der Reiseleiter gibt über Mikrophon bekannt, dass in Slowenien immer der Rosenkranz gebettet werden muss, weswegen wir jetzt sofort den Vorbetter brauchen.
    Schweigen. Auch die vier Frauen neben mir schauen aus dem Fenster.
    »Einen brauchen wir. Herr Thomalla! Ach so, Entschuldigung, Domweber. Nicht? Frau
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