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Unterland

Unterland

Titel: Unterland
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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nicht lange genug sehen, um zu erkennen, was er jetzt denken mochte.
    Auf halbem Wege kam Mem auf uns zu. »Vielleicht kann ich dich ablösen«, meinte sie und Herr Helmand bot ihr erfreut den Arm. »Ein gelungenes Fest, ich gratuliere«, hörte ich meine Mutter als Letztes sagen, bevor sie sich zu tanzen anschickte n …
    Und der Restaurantbesitzer kreidebleich in den Raum stürzte.
    »Nur eine kleine private Feier«, jammerte er, »eine Hochzeit, das muss man doch noch feiern dürfe n …!«
    Eine der Geigen und das Akkordeon brachen augenblicklich ab, der zweite Geiger gab noch zwei schiefe Töne von sich, ehe der Spieler erkannte, was los war: Hinter dem Restaurantbesitzer traten bewaffnete Tommys in den Raum. Nora und Wim, Mem und Herr Helmand, Ooti und der arme Le o … sie alle erstarrten mitten in der Bewegung, wie die Bewohner von Pompeji.
    »Das Schwein und den Alkohol haben sie selbst mitgebracht!«, zeterte der Restaurantbesitzer.
    »Shut the fuck up!«, bellte Captain Sullavan und blickte sich um; der Kellner, der ihm am Nächsten stand, fuhr zurück. »Who of you is Alfred Wollank?«
    So kam ich schließlich doch zu meiner Fahrt im offenen Lastwagen. Neugierige Blicke folgten uns, eine verhaftete Hochzeitsgesellschaft war ein seltenes Schauspiel, und ich erinnere mich, dass ich die meiste Zeit wie gelähmt auf die Wranitzky starrte, die mir gegenübersaß und ihren Emailletopf mit vier Kartoffeln in Soße umklammerte.
    Wir waren blau gefroren, als wir endlich am Tommy-Hauptquartier in der Innenstadt eintrafen, aber kam es noch darauf an? Die Kälte, die Captain Sullavan ausstrahlte, lag sogar noch unter der Außentemperatur.
    Auch meine Mutter starrte geradeaus, doch ich war überzeugt, dass sie nicht den armen Leo vor sich sah, sondern dieselbe kurze Szene, wieder und wieder.
    »Colin, what’s going on?«
    Der unglückliche Umstand, dass sie bei der Verhaftung von Herrn Helmand in dessen Arm angetroffen wurde, kam Mem gar nicht zu Bewusstsein. Captain Sullavan riss sie mit einem Zorn auseinander, den ich nie von diesem freundlichen Mann erwartet hätte.
    »You fools are protecting a Nazi war criminal!«, schleuderte er ihr entgegen und Mem fuhr zurück, als habe er sie geschlagen.
    »But Coli n … that’s not true!«
    Captain Sullavan war fast noch blasser als Herr Helmand, als er diesen packte und durch den Raum schubste, aber es war meine Mutter, zu der er die Worte zurückwarf: »Bloody Germans! You’re all alike!«
    Nur einen einzigen kurzen Blick erhaschte ich auf Nora und Wim. Sie waren in einen anderen Wagen gestiegen als wir und mussten früher im Hauptquartier eingetroffen sein; während wir im Flur warteten, wurden die beiden aus einem Raum weiter hinten geholt und in einen gegenüberliegenden geführt. Als könne er unsere Blicke in seinem Rücken fühlen, wandte Wim den Kopf und sah bleich und fassungslos zu uns hinüber, und in diesem Augenblick spürte ich, wie etwas in mir in tausend Scherben sprang.
    Ich wollte aufstehen, zu ihm laufen, ihm wenigstens zurufen, dass nicht ich sein Geheimnis verraten hatte! Aber es ging zu schnell, schon waren sie weg und ich spürte, dass die Scherben bereits begannen, nach jener Stelle unter meinen Rippen zu suchen, wo es am meisten wehtat, um sich dort für immer festzukrallen.
    Wim und Nora trugen keine Handschellen, aber die Wranitzky, die sie auch gesehen hatte, sagte: »Jetzt kommen sie ins Kazett, wie Emmy Göring und die kleine Edda.«
    Ich begann zu heulen. »Kinder kommen nicht mehr ins Kazett«, wies Ooti die Wranitzky zurecht, aber die schnitt ihr das Wort ab: »Natürlich kommen sie. Die kleine Edda ist mit ihrer Mutter in Kazett, das weiß ich aus sicherer Quelle.«
    »Wim hat nichts getan«, heulte ich.
    »Edda auch nicht«, antwortete die Wranitzky wie aus der Pistole geschossen.
    »Görings sind im Gefängnis, nicht in Kazett. Seien Sie so gut und halten Sie den Mund, Frau Wranitzky«, sagte Mem erschöpft, aber ihre Autorität schien durch die Abfuhr Captain Sullavans jäh verpufft zu sein, denn die Wranitzky erwiderte höhnisch: »Na, das sagt die Richtige!«
    »Meine Damen, meine Damen! Behalten Sie jetzt bitte die Nerven!«, flehte der arme Leo.
    »Kann mir irgendeiner«, verlangte seine Mutter, »mal erklären, was hier los ist?«
    Durch einen Schleier von Tränen blinzelte ich zu Henry, aber der verriet sich nicht und die zwei Stunden, bis ein fremder Tommy aus dem Zimmer kam, in das sie Wollanks gebracht hatten, und uns mit
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