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Gerissen: Thriller (German Edition)

Gerissen: Thriller (German Edition)

Titel: Gerissen: Thriller (German Edition)
Autoren: Peter Abrahams
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Eins
    W ie ist vorangehen das Schreiben?«, fragte Dragan Karodojic.
    Sperrstunde in Verlaine’s Bar und Grill in der Schermerhorn Street. Außer Dragan, dem Tellerwäscher, der den Boden wischte, und Ivy Seidel, der Barkeeperin, die die Tageseinnahmen abrechnete, war niemand mehr da.
    »Nicht schlecht«, erwiderte Ivy. Diese Frage – wie das Schreiben voranging – war die wichtigste in ihrem Leben, ihr ständiger Begleiter, und die ehrliche Antwort lautete, dass sie keine Ahnung hatte. Was sie hatte, war ein Magistergrad in Kreativem Schreiben von der Brown, drei Sommer in einem Roman-Workshop im Norden, der letzte mit einem vollen Stipendium, zwei nicht abgeschlossene Romane, einundsechzig vollendete Kurzgeschichten, die in der Länge zwischen einer und achtundfünfzig Seiten variierten, und eine Schublade voller Ablehnungsbescheide.
    »Ich für meine Person habe Idee für Roman«, erklärte Dragan.
    »Das hast du nie erwähnt«, sagte Ivy, während sie ihr Trinkgeld unter der Münzlade der Kasse hervorholte und einsteckte.
    »Du nie fragen«, sagte Dragan, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte er seinen Schrubber abgestellt und saß ihr gegenüber an der Bar. Ivy mochte Dragan. Wer nicht? Sechs Monate im Land, breites Lächeln voll schiefer osteuropäischer Zähne, großäugige Begeisterung für Dinge, die die meisten New Yorker nicht einmal bemerkten – aber es war schon nach zwei, und sie wollte nach Hause.
    »Was ist das Ding«, fragte Dragan, »für Handyverbindung?« Er machte mit beiden Händen eine weit ausholende Geste, wie ein schwellender Kreis.
    »Mast?«, fragte Ivy.
    »Mast, ja«, sagte Dragan. »Handymast.« Und er stürzte sich in eine lange und unverständliche Geschichte über einen Sendemast, der Signale aus einer Schattenwelt empfing, in der die Seelen der ausgestorbenen Neandertaler Rachepläne schmiedeten.
    »So«, schloss Dragan, den Kopf wie ein Welpe zur Seite geneigt. »Ich will Wahrheit. Wie lautet Urteil?«

    Ivy ging nach Hause. Eine warme Septembernacht, so warm wie im Sommer und dennoch irgendwie anders. Wie genau? Es war wichtig, diese Dinge festzunageln, die richtigen Worte zu finden. Aber als Ivy ihr Gebäude erreichte und die Stufen zum Eingang erklomm, waren die richtigen Worte noch immer nicht gekommen.
    Sie schloss ihren Briefkasten auf, Nummer fünf, fand einen einzigen Brief. The New Yorker. Sie riss den Umschlag auf. Eine Ablehnung. Ein Formschreiben; drei vom New Yorker hatte sie bereits – sie verwendeten dickes Papier, so wie es sich anfühlte, hätten es auch protzige Einladungen sein können –, aber diesmal hatte jemand mit unleserlicher Unterschrift eine Bemerkung daruntergekritzelt. Ivy drehte das Blatt in Richtung der Straßenbeleuchtung.
    Der Utah-Teil ist wirklich nett.
    Der Utah-Teil? Welcher Utah-Teil? Hatte sie ihnen denn nicht »Live-Unterhaltung« geschickt, eine achtseitige Kurzgeschichte, die ausschließlich in einer Raststätte in New Jersey spielte? Aber dann erinnerte sich Ivy an die kurze Erwähnung eines Snowboard-Unfalls in Alta. Wie kurz? Drei Zeilen, höchstens.
    Ivy schloss die Haustür auf und stieg nach oben zu ihrem Einzimmerapartment im fünften Stock. Die Treppe, eigentlich das gesamte Gebäude, neigte sich leicht nach rechts, außerdem funktionierte nichts richtig, und nichts wurde jemals repariert, aber das beeinflusste die Höhe der Miete nicht im Geringsten. Ivys Zimmer, ein unregelmäßiger 45 Quadratmeter großer umgebauter Dachboden, kostete 1100 Dollar im Monat. Sie trat ein, legte den Riegel vor und setzte sich an den Tisch, einen Kaffeehaustisch, den sie kostenlos in einem gescheiterten Restaurant in der Smith Street ergattert hatte. Ivy schaltete ihren Laptop ein und suchte nach der Utah-Passage in »Live-Unterhaltung«.

    Er stürzte, aber offensichtlich aufwärts, denn er landete in einem Baumwipfel. Das einzige Geräusch war das über die Spur hallende Weinen des Kindes, das er überfahren hatte. In weiter Ferne schimmerte der große Salzsee irgendwie braun.

    Das war wirklich nett? Auf irgendeine Weise netter als der Rest der Geschichte? Ivy las das Ganze mehrere Male durch, ohne zu begreifen, warum. Sie beschloss, dem New Yorker diesbezüglich einfach zu vertrauen. Sie war zu »wirklich nett« imstande, und sie interpretierte »wirklich nett« als veröffentlichungswürdig für den New Yorker und alles, was darauf folgen mochte.
    Fast drei Uhr morgens, aber Ivy war nicht mehr müde. Sie kochte sich Tee, stieg
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