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Unterland

Unterland

Titel: Unterland
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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zerstörten Haftzelle entkommen und sich unter die Zivilbevölkerung mischen konnte, wurden alle Beteiligten mit einem Schnellboot aufs Festland gebracht und vor Gericht gestellt. Zwei Helgoländer und fünf Soldaten traten am 21 . April in Cuxhaven vor ein Erschießungskommando.
    Noch am Morgen des 18 . April war ein letzter Funkspruch an die Engländer abgesetzt worden: »Aktion misslungen, Helgoland sofort angreifen!« Da wenige Stunden später tatsächlich der Vernichtungsangriff erfolgte, ist für die Hauptfiguren dieses Romans, Henry und Alice, der Urheber des Funkspruchs »der Verräter«. Für die Kinder ist ein Mann direkt verantwortlich für die Zerstörung der Insel. In Wahrheit wurde das Scheitern der kampflosen Übergabe keiner einzelnen Person angelastet, der genaue Hergang blieb im Dunkeln. Auch Henry und Alice müssen am Ende erkennen, dass sie wohl nie erfahren werden, was damals wirklich geschehen ist.
    Nach einem zweiten Angriff am 19 . April wurde die Helgoländer Zivilbevölkerun g – etwa 200 0 Persone n – aufs Festland evakuiert, wo sie das Kriegsende in der Hoffnung erwartete, bald nach Hause zurückkehren und mit dem Wiederaufbau beginnen zu können. Diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht: Die Rückkehr wurde ihnen verwehrt, die Helgoländer erhielten Flüchtlingsstatus und wurden auf rund 15 0 Städte und Gemeinden vorwiegend in Norddeutschland verteilt.
    Während der nächsten sieben Jahre teilten sie das Schicksal unzähliger Heimatloser, denen in der Fremde nur widerwillig Unterschlupf gewährt wurde. So begegnet die fiktive Familie Sievers in ihrem Hamburger Exil sowohl Flüchtlingen aus Schlesien und Pommern, die ihre Heimat gegen Ende des Krieges auf der Flucht vor der Roten Armee verlassen mussten, als auch Vertriebenen aus dem Sudetenland, die erst im zweiten Nachkriegsjahr eintrafen. Zur Geschichte von Wim und Nora Wollank gehört das »Aussig-Massaker«, ein Pogrom gegen die deutsche Zivilbevölkerung im Juli 1945.
    Der Umgang mit den Flüchtlingen und Vertriebenen aus den früheren deutschen Ostgebieten zählt zu den dunklen Kapiteln der Nachkriegsgeschichte. Viele von ihnen waren in der Heimat wohlhabend gewesen, nun fanden sie sich bettelarm in einer misstrauischen, oft feindseligen Umgebung wieder. Glücklichere Deutsche, denen Haus und Hof geblieben war, mochten oft nicht einsehen, dass sie die Lasten des verlorenen Krieges zu teilen hatten. Die Hausbesitzerin Frau Kindler lässt Neuankömmlinge über viele Stunden vorm Gartentor warten, bis sie sie ungnädig aufnimm t – Szenen wie diese haben sich damals leider tausendfach abgespielt und sind bis heute nicht verwunden.
    Auf den Tag genau zwei Jahre nach der Bombardierung leiteten die Briten am 18 . April 1947 auf Helgoland die bis dahin größte nicht nukleare Sprengung der Geschichte ein. Die Helgoländer glaubten »deät Lunn « – wie die Insel auf Halunder heiß t – endgültig verloren. Doch obwohl sich die Form der Insel durch die Sprengung erheblich veränderte, hielt der Buntsandsteinfelsen stand. Neue Hoffnung keimte auf, und von nun an verlor man das Ziel der Rückkehr nie mehr aus dem Blick. Dies, obwohl die Royal Air Force auf Helgoland fortan Bombenabwürfe übte, weitere Zerstörung anrichtete und allen Appellen widerstand, die Insel an ihre Bewohner zurückzugeben.
    Dank beharrlicher Bemühungen des jungen James Krüss, aus dem Jahre später einer der meistgeliebten deutschen Kinder- und Jugendbuchautoren werden sollte, konnte im November 1948 die erste Ausgabe des »Mitteilungsblattes für die Hallunner Moats« erscheinen, das entscheidend zum Zusammenhalt der verstreuten Inselbevölkerung beitrug. Unter immer regerer Teilnahme fanden zahlreiche Helgoland-Treffen statt. Ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte Helgoland jedoch erst wieder im Dezember 1950 durch die spektakuläre Aktion zweier Studenten aus Berlin und Heidelberg.
    René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld »besetzten« für einige Tage die Insel, indem sie am alten Flaktur m – dem einzigen Gebäude, das Sprengung und Bombenabwürfe überstanden hatt e – die Europafahne, die Deutschlandfahne und die Flagge Helgolands hissten. Sie lenkten die Aufmerksamkeit darauf, dass mehr als fünf Jahre nach Kriegsende weiterhin Bomben auf einen Teil Deutschlands fielen, der Menschen als Heimat galt. Hektische diplomatische Betriebsamkeit setzte ein, begleitet von Presseberichten im In- und Ausland und weiteren Besetzungsaktionen. Nach einem Jahr
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