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Monkeewrench 02 - Der Koeder

Monkeewrench 02 - Der Koeder

Titel: Monkeewrench 02 - Der Koeder
Autoren: P.J. Tracy
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KAPITEL 1
     
     
    Es war kurz nach Sonnenaufgang und regnete noch immer, als Lily die Leiche ihres Mannes fand. Er lag mit dem Gesicht nach oben auf dem Asphalt vor dem Gewächshaus. Augen und Mund standen offen, und es sammelte sich Regenwasser in ihnen.
    Der Tote sah in dieser Position recht anziehend aus, denn die Schwerkraft schien die faltige Haut seines Gesichts zu straffen und vierundachtzig Jahre voller Leid und Lachen und Kummer vergessen zu machen.
    Lily stand einen Augenblick lang über ihm und zuckte zusammen, wenn die Regentropfen mit einem leisen Geräusch auf seine Augen fielen.
    Ich hasse Augentropfen.
    Morey, halt still. Hör auf zu blinzeln.
    Hör auf zu blinzeln, sagt sie, und träufelt mir dabei Chemie in die Augen.
    Ruhe. Es ist keine Chemie. Natürliche Tränen, siehst du? Das steht hier auf dem Fläschchen.
    Erwartest du von einem Blinden, dass er lesen kann?
    Ein kleines Sandkorn im Auge, und schon bist du blind. Wahrlich ein ganzer Kerl, so richtig hart im Nehmen.
    Und natürliche Tränen sind es ohnehin nicht. Wie sollten sie es denn auch machen? Auf Beerdigungen gehen und weinenden Menschen Fläschchen unter die Augen halten? Nein, die mischen Chemikalien und nennen es dann natürliche Tränen. Etikettenschwindel ist das, nichts anderes. Unnatürliche Tränen sind das. Eine kleine Flasche voller Lügen.
    Halt die Klappe, alter Mann.
    So ist es doch, Lily. Nichts sollte vorgeben zu sein, was es nicht ist. Alles sollte ein großes Etikett tragen, auf dem steht, was es ist, damit es keine Verwirrung gibt. Wie der Dünger, den wir vor Jahren für unsere Beetpflanzen benutzt haben und der all unsere Marienkäfer getötet hat. Wie hieß der noch?
    Pflanzengrün.
    Genau. Den hätten sie Pflanzengrün Marienkäfertod nennen sollen. Vergiss die winzige Schrift auf der Rückseite, die keiner lesen kann. Wahrhaftige Bezeichnungen brauchen wir. Das wäre eine gute Vorschrift. Selbst Gott sollte sich nach einer solchen Vorschrift richten.
    Morey!
    Was soll ich sagen? Da hat Er einen großen Fehler begangen. Wäre es denn für Ihn ein Problem gewesen, die Dinge so aussehen zu lassen, wie sie auch wirklich sind? Ich meine, Er ist doch Gott, stimmt's? Das könnte er doch ohne weiteres machen. Überleg mal. Da steht ein Typ vor der Tür, hat ein freundliches Gesicht und lächelt dich nett an. Du lässt ihn herein, und er bringt deine ganze Familie um. Das ist doch Gottes Fehler. Das Böse sollte auch böse aussehen. Dann lässt du es nämlich nicht herein.
    Besonders du solltest wissen, dass es so einfach nicht ist.
    Genau so einfach ist es aber.
    Lily holte Luft und ging in die Hocke – eine jugendliche Körperhaltung für eine so alte Frau, aber ihre Knie waren gesund, noch immer stark und gelenkig. Es gelang ihr nicht, Moreys Lider ganz zu schließen. Einen Spalt breit blieben sie offen und ließen ihn bedrohlich aussehen. Seit sehr langer Zeit bekam Lily es zum ersten Mal wieder mit der Angst zu tun. Sie vermied es, seine Augen anzuschauen, als sie das dunkle Silberhaar zurückstrich, das der Regen auf seinen Schädel gekleistert hatte.
    Einer ihrer Finger glitt in ein Loch seitlich an seinem Kopf, und sie erstarrte. «Oh, nein», flüsterte sie. Dann erhob sie sich hastig und wischte sich die Finger an ihrem Overall ab.
    «Ich habe es dir gesagt, Morey», schalt sie ihren Mann ein letztes Mal. «Ich habe es dir gesagt.»

 
    KAPITEL 2
     
    In Minnesota war der April immer unberechenbar, aber ungefähr alle zehn Jahre zeigte er sich ausgesprochen sadistisch und wechselte ungezügelt zwischen verlockendem Frühlingsversprechen und den letzten zornigen Todeszuckungen eines widerspenstigen Winters, der nicht die geringste Neigung zu einem leisen Abschied verspürte.
    Genau so ein Jahr war es gewesen. In der vergangenen Woche war ein unglaublicher Schneesturm über den wärmsten April seit Menschengedenken hereingebrochen, hatte die knospenden Bäume zu Tode erschreckt und im ganzen Staat heftige Diskussionen über einen Massenexodus nach Florida ausgelöst.
    Aber der Frühling hatte letztlich doch die Oberhand gewonnen, war bemüht, alle Welt mit sich zu versöhnen, und machte das verdammt gut. Die Quecksilbersäule stieg auf 25 Grad, die vom Schnee eingeschüchterte Flora hatte sich aufgerafft, geradezu schamlos neongrün zu explodieren, und was am besten war: Die Streitmacht der Stechmücken lauerte noch in Larvenform in den Seen und Sümpfen. Freudetrunkene und sonnenhungrige Einwohner von Minnesota
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