Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterland

Unterland

Titel: Unterland
Autoren: Anne C. Voorhoeve
Vom Netzwerk:
eröffnet, kam Wim auch schon zu mir geeilt.
    »Das ist aber ein anderer Takt als unser Tanz«, wandte ich ein.
    »Egal«, sagte Wim entschlossen, »dann gehen wir eben nur einen Schritt nach rechts.«
    »Aber keine Drehung! Sonst schraubst du mich aus meinem Bein.«
    Wim grinste schwach. »Ich pass schon auf. Auch wenn du dachtest, ich könne nicht damit umgehen!«
    Er fasste mich um die Taille und wir nahmen Aufstellung. Ich fühlte seine warme Hand, sah verblasste Sommersprossen auf seinem Nasenrücken und dichte Wimpern, die sich konzentriert senkten, während er den Takt zählte.
    Dies war er also, mein Tanz, von dem ich noch im Sommer befürchtet hatte, er würde nie stattfinden! Hätte ich mir einen lieberen Tanzpartner wünschen können als Wim? Gewiss nicht, aber nun, da es so weit war, war mein Herz nicht mehr dabe i – nur das unbestimmte Gefühl, um etwas betrogen zu werden.
    »Du hast es mir verschwiegen, solange es ging«, meinte Wim, sobald wir unseren Rhythmus gefunden hatten. »Du hast es erst zugegeben, nachdem du bewiesen hattest, dass du trotz allem noch tun kannst, was du willst.«
    »Tun, was ich wil l …? Wer kann das schon!«
    »Ich«, sagte Wim prompt. »Und du auch, möchte ich wetten. Es ist zu schad e …«
    Er brach ab. »Das finde ich auch«, murmelte ich und Wims Hand in der meinen wurde kalt. »Ich versuche dir zu schreiben«, sagte er. »Wir werden ein Postfach haben, dann könntest d u …«
    »Mach ich. Bestimmt!«
    »Die beiden Kisten, die noch da sind, sind für dich. Das habe ich aufgeschrieben, der Zettel liegt obenauf, nur dass du’s weißt. Es tut mir leid, dass ich dein Geld genommen habe.«
    »Das konntest du doch gar nicht wissen.«
    »Trotzdem. Dein Bruder ist verrückt. Dir fehlt ein Bein, aber mehr nicht, während e r …« Wim schickte einen neuerlichen Blick zum Tisch und zu meiner Überraschung sah ich ihn leise schaudern. »Er ist ganz schön unheimlich, der alte Henry.«
    »Er hätte nicht geschossen«, sagte ich. »Da bin ich mir ziemlich sicher.«
    »Ziemlich vielleich t … aber nicht ganz!«, erwiderte Wim, ohne zu lachen.
    »Morgen Frü h …?«, fragte ich leise.
    Er antwortete nich t – was Antwort genug war. Nora und Herr Helmand tanzten an uns vorbei, sie rief: »Ihr seht entzückend aus, Kinder! Richard, lass uns tauschen, ich will auch mal mit meinem Soh n …«
    Aber er hielt sie entschlossen fest und sie entschwebten wieder.
    »Der lässt so schnell nicht mehr los«, meinte Wim mit schiefem Grinsen.
    »Sie waren ja auch lange genug getrennt«, erwiderte ich. »Wie lange eigentlich?«
    »Vier Jahre«, antwortete Wim, ohne nachzudenke n … und erschrak so sehr, dass er abrupt stehen blieb und der arme Leo, Ooti im Arm, mit einem Hoppla! gegen uns knallte.
    »Ich meine«, stotterte er, »so kommt es ihm vor, sagt er, obwohl natürlich meine Eltern damals zusammen waren und er als Freund meines Vater s …«
    »Wim«, unterbrach ich ihn flüsternd, »du musst nicht mehr lügen, ich weiß, wer Herr Helmand ist. Keine Ahnung, warum er sich verstecken muss und ob sie es dir überhaupt gesagt haben, aber ich schätze, es hat bestimmt nichts zu tun mit Herrn Goldstein und allem, was ihm passiert ist, und ihr wisst, was ihr tut, und ich verrate nicht s …«
    Was war nur in mich gefahren? Wollte ich Wim nicht gehen lassen, ohne ihm zu verstehen zu geben, dass ich etwas Großes für ihn tat? Bildete ich mir ein, es würde etwas ändern? Noch im Reden merkte ich, dass ich einen Fehler beging, und meine letzten Worte verklangen töricht und armselig in einem hohlen Raum.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest!«, sagte Wim kühl und ließ meine Hand los.
    Das Blut schoss mir in die Wangen. »Nun aber«, sagte jemand und tippte mir von hinten auf die Schulter, und als ich mich umdrehte, stand Nora vor mir.
    »Darf ich?«, fragte sie lächelnd, nahm Wims Hand und die beiden tanzten mit großen Schritten davon.
    »Junge Dame«, sagte Herr Helmand und blickte mich fragend an.
    Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, dass Nora mir beim Abklatschen ihren eigenen Tänzer überlassen hatte! Erschrocken tat ich einen Schritt zurück.
    »Oder brauchst du eine Pause?«, schlug er vor.
    »Ich brauche eine Pause«, bestätigte ich hastig, konnte aber nicht verhindern, dass er mir unter den Arm griff und mich zu meinem Platz führte. Verzweifelt warf ich einen Blick zurück, aber an den Hausbewohnern vorbei, die sich auf der Tanzfläche drehten, konnte ich Wims Gesicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher