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Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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jetzt geschehen?
    „Gut. Dann komm mal mit ins Wohnzimmer. Ich habe mit dir zu reden.“ Er führte Sam nach nebenan und Laine und Vivian folgten ihnen. Sam war dankbar, dass Neill noch im Bett lag. Jetzt würden sie über sein Verhalten als Praktikant reden, vermutete er. Und die Schmach musste man nicht noch vor Neill ausbreiten. Im schlimmsten Fall konnte er noch mal betonen, dass er Neill über Wasser gehalten hatte und dass dies zehnfach zählte.
    George nahm einen Stapel Papiere vom Wohnzimmertisch und blätterte sie durch. Dann gab er Sam etwas in die Hand. Ein Blatt mit Buchstaben. Sam bemühte sich, das Geschriebene zu lesen.
    „Geburts...“ Er erschrak. Ein Geburtstagsblatt, von dem er nichts gewusst hatte? Was musste er jetzt tun? Sam sah hilflos von einem zum anderen.
    „Ich kann das noch nicht!“, sagte er und hielt George das Blatt wieder hin. „Ich bin noch nicht gut in Geburtstagsblättern.“
    Dieser Tag entwickelte sich schlimmer, als er es sich gestern noch vorgestellt hatte.
    „Lies mal ganz in Ruhe“, sagte George. Es klang freundlich und Vivian und Laine sahen ihn sehr merkwürdig an.
    „Geburts-Urkunde“, las Sam.
    „Richtig. Und was steht hier?“ George deutete auf eine Stelle weiter unten.
    „Sss...samuel. Samuel Marc McPhersson. Wer ist das?“
    „Das bist du“, sagte George. „Bei den Menschen muss alles auf einem Papier stehen und dann genehmigt werden. Dieses Papier sagt anderen Menschen, dass du auch ein Mensch bist. Und das hier ...“ George nahm ein anderes Blatt zur Hand.
    „Dieses Papier sagt, dass du mein Sohn bist. Du heißt ab jetzt Sam Cunnings.“
    Sam starrte George an. Und für Sekunden konnte er weder atmen noch sprechen.
    „Halt ihn fest, Liebling. Ich denke, er wird ohnmächtig“, sagte Vivian.
    Um Sam wurde es schwarz. Er fiel. Jemand fing ihn auf, und Hände hielten ihn.
     
     
    Als Sam die Augen wieder aufschlug, sah er Gesichter über sich, die auf ihn herablächelten. Auf seiner Stirn lag etwas Feuchtes, Kühles.
    „Hörst du mich, Sam?“, fragte George.
    „Wir hätten ihn auf das Sofa setzen sollen. Das war abzusehen“, sagte Vivian und nahm den Waschlappen von Sams Stirn.
    Sam blinzelte. Er begriff noch nicht ganz, was gerade geschah.
    „Hey, Adoptivbruder“, sagte Laine. Sie legte sich neben ihn auf den Teppich, schmiegte sich an ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Vivian beugte sich lächelnd zu ihm herab und küsste seine Stirn. Und dann wurde er plötzlich von allen Seiten gedrückt, geküsst und umarmt.
    Sam schwebte dazwischen und ließ sich von seiner Familie in einem unwirklichen Freudentaumel durchknuddeln.
    Er sirrte, denn ihm war noch etwas schwummerig, aber er fühlte die Liebkosungen seiner Familie. Seiner Familie. Wahrscheinlich musste er gleich noch ein bisschen weinen, aber im Moment ließ er alles geschehen. Familienküsse und Familienumarmungen.
    „Was zur Hölle macht ihr da?“ Bill stand in der Tür und sah auf das am Boden liegende Menschenknäuel.
    „Sam knuddeln“, sagte Laine. „Kannst auch mitmachen.“
    „Lies es an meinem Gesicht ab, wie ich dazu stehe. Eigentlich hab ich auf ein Geburtstagsfrühstück spekuliert. Ich bin in der Küche. Wenn du Hilfe brauchst bei diesen Verrückten, Flossenfreund, dann ruf mich.“ Bill verschwand Richtung Küche, aber Sam sah vorher noch, wie er ihm zulächelte und sein rechtes Auge zwinkerte.
    „Wir sollten auch in die Küche gehen und Sam noch kurz mit deinem Vater allein lassen“, sagte Vivian zu Laine.
    „Mit meinem Vater“, flüsterte Sam glücklich.
    Laine und Vivian erhoben sich.
    „Bis gleich“, sagte Laine und winkte ihm noch mal zu.
    George saß neben ihm auf dem Boden und Sam sah selig zu ihm hinauf.
    „Schau dir mal deine Beine an“, sagte George. „So schaffen wir es nicht in die Küche.“
    „Zum Geburtstagsfrühstück“, sagte Sam.
    „Genau. Du warst ein paar Minuten weggetreten, das hat gereicht.“
    Sam hob einen Fuß an und sah die silberne Verfärbung.
    „Gib mir deine Hand“, sagte George.
    Sams Finger umschlossen die seinen und Sam konzentrierte sich, um seinen Körper in die Menschengestalt zurückzuzwingen. Und es war leicht, fast schmerzfrei.
    „Danke für dein Geschenk“, sagte George, während Sams Füße langsam menschliche Hautfarbe annahmen.
    „Ich hatte doch keins“, sagte Sam.
    „Wenn ich mir gestern etwas hätte wünschen können, dann wäre es gewesen, dass Neill nicht ertrinkt. Und dass du ihm nichts tust. Du hast
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