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Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Titel: Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Autoren: Nele Neuhaus
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verspreche ich dir. Wir bleiben die besten Freunde. Für immer.«
    »Dann ist es gut«, er lächelte und küsste vorsichtig ihre Wange. Die Glocken der Kirche begannen zu läuten.
    »Wir sollten hineingehen«, sagte Oliver, »sonst erkälten wir uns noch.«
    Sie standen auf und Alex steckte die Hände in die Jackentaschen.
    »Ich gehe noch etwas spazieren«, sagte sie, »ich muss einen Augenblick alleine sein.«
    »Okay«, Oliver nickte, »wir sehen uns dann später.«
    Er blickte ihr nach, wie sie mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern den Hof überquerte und im Dunkel des Kreuzgangs verschwand. Es tat ihm weh, sie so zerbrochen und gequält zu sehen, aber er hatte längst begriffen, dass er nicht der Mann war, der ihr den Trost spenden konnte, den sie jetzt brauchte.
    ***
    Auf dem Weg zur Grabstätte seiner Familie begegnete Nick Kostidis keiner Menschenseele. Der Lärm der Stadt war hinter dendicken Mauern nicht zu hören. Ein paar Spottdrosseln stritten lautstark in den hohen Eiben und in den blattlosen Baumkronen der alten Eichen jagten sich zwei graue Eichhörnchen. Die Sonne hatte den Schnee weggetaut, nur unter den Bäumen und im Schatten der Mauer lagen noch ein paar bleiche Reste. Heute Abend würde es wieder schneien. Die klare, kalte Luft roch nach Schnee. Nick setzte sich auf die Bank und starrte auf die Grabsteine, auf denen die Namen seiner ganzen Familie standen. Sein Vater, seine Mutter, die beiden Brüder, und nun auch noch Mary und Christopher. Der Schmerz über ihren Verlust überfiel ihn so unerwartet und heftig, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Im Osten war es schon fast dunkel. Die ersten Sterne leuchteten kalt und unnahbar aus weiter Ferne und die fahle Sichel des zunehmenden Mondes kündete die kommende Nacht an. Die Nacht, die den Untergang für Sergio Vitali bedeuten würde. Hoch oben am Himmel zog lautlos ein Flugzeug vorbei. Die untergehende Sonne beleuchtete es und ließ den metallenen Rumpf silbrig glitzern. Wie herrlich ruhig es hier war! Der Friedhof war eine Oase der Stille und des Friedens. Hier war nichts mehr von den Qualen und Schmerzen des Lebens zu spüren. Nick fand den Gedanken, allein zwischen den vielen Toten zu sitzen, nicht beängstigend. Eigentlich beruhigte ihn die Aussicht sogar, eines Tages alle Zweifel und allen Kummer besiegt zu haben.
    »Heute werden sie ihn verhaften, Mary«, sagte er leise, »heute ist der Tag, von dem ich so lange Zeit geträumt habe. Vielleicht sollte ich mich freuen, aber ich kann es nicht. Es sollte mein Sieg sein, Mary, mein Triumph, aber dieser Sieg ist bitter.«
    Nick fröstelte in der schneidenden Kälte des Dezemberabends.
    »Ach, Mary«, stieß er hervor, »wieso habe ich mir nicht mehr Zeit für euch genommen? Dauernd denke ich daran, dass ich dir kein schönes Leben geboten habe. Warum habe ich so viel gearbeitet und dich alleine gelassen? Du hast dich in all den Jahren nie beklagt und ich habe nicht gefragt. Das kann ich mir nicht verzeihen.«
    Eine Träne rollte über seine Wange.
    »Ich habe immer gedacht, wir hätten noch so viel Zeit, aber plötzlich ... plötzlich hatten wir keine Zeit mehr. Kannst du mirverzeihen, Mary? Ich weiß, es sind nur leere Worte und sie kommen zu spät, aber wenn ich die Chance hätte, etwas anders zu machen, dann würde ich es tun.«
    Er fühlte sich so durch und durch einsam, dass es ihn körperlich schmerzte, und dann verbarg er sein Gesicht in den Händen und schluchzte. Schlimmer noch als der Verlust, schlimmer noch als das grauenvolle Es ist zu spät , war das Gefühl, schuldig zu sein. Für das, was er an Mary versäumt hatte, musste er büßen. Er hatte kein Recht darauf, wieder glücklich zu werden. Und doch konnte Nick nichts dagegen tun, dass sich die Trauer um seine Familie mit der Sehnsucht nach Alex mischte. Es erschien ihm unangemessen und beinahe wie Verrat, dass er am Grab seiner Ehefrau an eine andere Frau dachte. Plötzlich nahm er eine Bewegung wahr und hob den Kopf. Sein Herz fing unwillkürlich an zu klopfen, als er ausgerechnet Alex erkannte, die mit gesenktem Kopf den Weg entlangschlenderte, die Hände tief in den Taschen der Daunenjacke vergraben. Sie schien seinen Blick zu spüren, denn sie hob den Kopf, kam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen.
    »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist«, sagte sie leise. »Ich dachte, du wärst heute Abend dabei, wenn sie ihn verhaften.«
    »Nein«, Nick
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