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Unter deutschen Betten

Unter deutschen Betten

Titel: Unter deutschen Betten
Autoren: Justyna Polanska
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gewundert, warum die nicht gleich auch entsorgt wurden. Jetzt wusste ich es:
    Sie sollten auf das weiße Blatt. Und dann auf meine Waschmaschine. Wie immer.
    Überführt durch Indizienbeweis!
     
    Also stellte ich den Mann auf der Kellertreppe zur Rede:
Ich: Hallo, wofür brauchen Sie denn das Papier?
Er: Äh, hallo! Ich muss mir was … aufschreiben.
Ich: Im Keller?
Er: Ja, ja. Wissen Sie, beim Waschen muss ich manchmal ein bisschen warten. Da schreibe ich Einkaufszettel.
Ich: Sind Sie sicher, dass Sie es mir nicht auf meine Waschmaschine legen wollen? Mit Fusseln drauf!
Er: Aber nein! Das ist wirklich nur für den Einkaufszettel.
Ich: Na, da bin ich ja gespannt, ob nachher nicht doch ein Fusselzettel auf der Maschine liegt!
Er: Ich weiß nicht, wovon Sie reden.
    Danach war lange Ruhe. Keine Zettel mehr auf der Waschmaschine.
    Leider nicht für immer.
    Ich weiß nicht, ob es derselbe Nachbar war, seine Frau oder andere. Jedenfalls leuchtete in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder ein weißes Blatt mit Fusseln drauf auf meiner Waschmaschine.
    Super!
     
    Dann zogen Jessi und Cedric ein. In die Wohnung über uns. Ein junges Pärchen in unserem Alter. Wir hatten uns schon beim Einzug im Treppenhaus kurz vorgestellt. Nachdem alle Kisten ausgepackt waren, klingelte es an unserer Wohnungstür. Da standen die beiden mit einer Flasche Sekt und zwei Tüten Chips: »Wir sind die Neuen im Haus, habt Ihr Zeit?« Wir steuerten eine Flasche Wodka bei, und es wurde ein herrlicher Abend, an dem wir alle Nachbarn durchhechelten. Auch den mit den Filzfusseln.
     
    Am nächsten Morgen wollte ich Wäsche machen und musste laut lachen, als ich in den Keller kam. Jessi hatte mit Lippenstift auf meine Waschmaschine geschrieben:
Hallo, lieber Fusselmann,
nimm mal jemand andern dran!
    Ich fand es toll, dass Jessi für mich in die Bresche sprang. Auch das habe ich in Deutschland sehr oft erfahren: Menschen, die mir helfen, ohne selbst etwas davon zu haben. Ein deutsches Sprichwort, das mir sehr gut gefällt, heißt: »Wo viel Licht, da viel Schatten.«
    Es gibt eben immer beides. Überall.
     
    Aber unter dem Strich überwiegt deutlich das Licht.
     
    Der Fusselmann allerdings gehört nicht dazu. Er ist übrigens auch der Nachbar, der schon seit jeher mit übertriebener Freundlichkeit grüßt, wenn ich ihm in der Tiefgarage begegne. »Guten Morgeeeeennn!!!« Der wünscht mir so süß und klebrig einen Guten Tag, dass ich mich innerlich schütteln muss.
     
    Und danach geht er wahrscheinlich direkt Papier kaufen.
     
    Meinen Namen kennt er nicht. Aber natürlich grüße ich ebenso freundlich zurück. Sonst heißt es noch, ich sei feindselig.
     
    Manchmal muss man Doppelmoral mit Doppelmoral begegnen. Das macht das Leben leichter.
     
    Aber manchmal muss man Doppelmoral auch entlarven. Damit der Druck nachlässt, den sie erzeugt.
    Ich bin Putzfrau. Mir begegnet oft Doppelmoral. Ich bekomme sie deutlicher zu sehen als andere.
     
    Und das ist das Privileg der Putzfrau: der Blick hinter die Kulissen.
    Das ist mein Beruf.
    Ich bekomme mit, wie es wirklich aussieht im Leben der Leute. Hinter der Fassade.
    Und das ist nicht selten ganz anders als das, was sie nach außen präsentieren.
     
    Ich sehe, wie es ist, und nicht, wie es sein soll.
    Mich lassen die Leute hinter die Fassade und unter die Betten.
     
    Und was ich da manchmal sehe, hätte ich früher nicht für möglich gehalten …

Die Putzfrau, das unbekannte Wesen
    E s gibt in Deutschland viele Putzfrauen. Wie viele, lässt sich aber leider nirgends herausfinden – weder ungefähr noch genau. Weder das Statistische Bundesamt noch die Stadtverwaltung oder das Allensbacher Institut konnten mir sagen, wer in Deutschland alles putzt.
     
    Putzfrauen sind selten gemeldet. Putzfrau ist ein typischer Schwarzarbeiterberuf. Deshalb muss man bei der Ermittlung von Zahlen anders vorgehen. Nach Annahme und Logik:
     
    Nehmen wir also vorsichtig an, dass eine Putzfrau erst bei einem Brutto-Jahresgehalt von über 75 000 Euro angestellt und pro Haushalt immer nur eine Putzfrau beschäftigt wird.
    Das Statistische Bundesamt hat in seiner neuesten Statistik in Deutschland gut zwei Millionen (genau: 2 074 804) solcher Vielverdiener-Haushalte ermittelt – somit käme man bei unserer Rechnung auf zwei Millionen Putzstellen. Öffentliche Gebäude nicht eingerechnet. Wenn eine Putzfrau im Schnitt zwei Putzstellen hat, bedeutet das, es gibt über eine Million Putzfrauen.
     
    Allerdings nur, wenn
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