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Der katholische Bulle: Roman (German Edition)

Der katholische Bulle: Roman (German Edition)

Titel: Der katholische Bulle: Roman (German Edition)
Autoren: Adrian McKinty
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1
DER SCHMALE GRAT
    Die Unruhen schufen nach einer Weile eine ganz eigene Ästhetik. Lichtbögen aus brennendem Benzin unter der Mondsichel. Purpurne Leuchtspurmunition in mystischen Parabeln. Die phosphoreszierenden Läufe der Gummigeschossgewehre. Ein entfernter Schrei wie von Männern unter Deck eines von Torpedos getroffenen Gefangenenschiffs. Das rote Zischen von Molotowcocktails, die auf glatte Oberflächen treffen. Überall Hubschrauber, deren Suchscheinwerfer sich wie Liebende im Jenseits begegneten.
    All dies hinter dem Schleier eines öligen Belfaster Regens.
    Ich stand mit den anderen neben dem Land Rover auf Knockagh Mountain und sah zu. Keiner sagte ein Wort. Worte waren unangemessen. Für diese Szene brauchte man einen Picasso, keinen Petrarca.
    Polizei und Randalierer standen sich in zwei unsauberen Reihen gegenüber, die sich über ein Dutzend Straßen erstreckten; die Gegner wurden von den Blitzlichtern der Reporterkameras und den brennenden, mit Benzin gefüllten Milchflaschen beleuchtet, die über das Niemandsland flogen wie Weihegaben an die Gottheit der Ballistik.
    Manchmal griff die eine Seite an, die beiden Reihen berührten sich für einen Augenblick, trennten sich wieder und kehrten auf die ursprünglichen Positionen zurück. Es stank nach Zivilisation: Schießpulver, Kordit, Zündschnur, Kerosin. Es war perfekt.
    Es war Giselle .
    Es war Schwanensee . Und doch …
    Und doch hatten wir den Eindruck, schon Besseres gesehen zu haben.
    Und tatsächlich, erst vergangene Woche hatte der IRA-Anführer Bobby Sands im Krankenhausflügel des Maze Prison das Zeitliche gesegnet.
    Bobby, das Aushängeschild der IRA, hatte nie jemanden umgebracht, stammte aus einer gemischt protestantisch-katholischen Familie und war hier aus der Gegend, Newtownabbey. Außerdem hatte er einen Bart und gab einen guten Jesus ab, was auch nicht schadete.
    Bobby Sands war der maitreya , der Weltlehrer, der Märtyrer, der die Menschheit durch sein Leiden erlösen würde.
    Als Bobby schließlich am sechsundsechzigsten Tag des Hungerstreiks starb, brachen in den katholischen Vierteln Belfasts spontan Unruhen aus, gespeist durch Wut und Enttäuschung.
    Aber das war vor einer Woche gewesen, und Frankie Hughes, der zweite Hungerstreikende, der starb, hatte keinen von Bobbys Vorzügen. Niemand hielt Frankie für Jesus. Frankie liebte es zu töten und hatte seine Sache ziemlich gut gemacht. Um die Kinder, die dabei ums Leben gekommen waren, hatte er keine Träne vergossen. Nicht mal vor den Kameras.
    Die Unruhen zu seinem Tod schienen irgendwie … orchestriert.
    Vielleicht wirkte es vor Ort wie dasselbe Chaos, und wahrscheinlich würde das auch morgen so in den Zeitungen von Pittsburgh bis Peking stehen … aber von hier oben vom Knockagh Mountain aus war deutlich zu erkennen, dass die Polizei die Oberhand behielt. Die Randalierer waren im westlichen Teil der Stadt zwischen den Hügeln und den protestantischen Vierteln eingezwängt worden. Sie sahen sich tausend Polizisten gegenüber, dazu zwei-, dreihundert Mann Polizeireserve, weiteren zweihundert Mann des Ulster Defence Regiment, UDR, und einem Bataillon der britischen Armee in Rufweite. Diesmal handelte es sich bei den Briten um dieBlack Watch, die berüchtigt für ihre Glasgower Schlägertypen war, die nur nach einer Gelegenheit suchten, sich zu prügeln. Es gab Hunderte von Protestlern – nicht Tausende, wie vorhergesagt worden war: Das hier war wohl kaum der allgemeine Aufstand der katholischen Bevölkerung, und was die versprochene »Revolution« anging … nun, nicht heute Abend.
    »Sieht böse aus«, meinte der junge Constable Price und eröffnete die Unterhaltung.
    »Ach, ziemlich halbherzig für einen Toten, finde ich«, erwiderte Detective Constable McCrabban in seinem groben Ballymena-Bauernakzent voller Zischlaute.
    »Ist nicht lustig, der Zweite zu sein, der bei einem Hungerstreik abkratzt«, pflichtete ihm Sergeant McCallister bei. »Alle erinnern sich an den Ersten. Der Zweite hat die Arschkarte gezogen. Für den werden sie keine Lieder schreiben.«
    »Was denkst du, Duffy?«, fragte mich Constable Price.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Crabbie hat wohl recht. Für den Zweiten wird das nie so eine große Nummer. Und der Regen hat ihm auch nicht gerade geholfen.«
    »Der Regen?«, meinte McCallister skeptisch. »Vergesst den Regen! Der Papst war’s. Einfach Pech für Frankie abzunippeln, nur ein paar Stunden, bevor jemand den Papst umzubringen versucht.«
    Ich
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