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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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mit dem sie ihn als junge Frau bedacht hatte und den er nun ebenfalls in den Augen des Arabers sah, der ihm selbst so ähnlich war und doch kaum etwas mit ihm gemein hatte. Nur die Sprache. Und diese Frau, die keiner von ihnen aus dem Kopf und dem Herzen hatte verdrängen können. Bis heute nicht.
    »Könntet Ihr ihr die Kette zukommen lassen?«, hörte er den Araber nun fragen. »Damit sie weiß, dass ich noch lebe?«
    Richard schwieg, saß reglos in seinem Stuhl, während seine Augen rastlos das Treiben auf der Straße verfolgten. »Wisst Ihr, was der größte Feind der Liebe ist?« Er sprach leise, kaum zu verstehen, und vielleicht mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber. »Stolz. Der Stolz ist der größte Feind der Liebe.« Ein Zucken durchfuhr seinen Körper, als er in seiner Westentasche kramte und ein paar Münzen auf den Tisch knallte, direkt neben das Medaillon und sich seinen Hut griff, der auf dem Stuhl zwischen ihm und dem Araber lag.
    »Bringt sie ihr selbst«, sagte er, als er aufstand, und seine Stimme klang heiser. Er setzte seinen Hut auf und zog ihn tief ins Gesicht. »Sie lebt in Cairo. Fragt nach der Engländerin, die Bücher schreibt.«
    Ohne ein weiteres Wort ging er fort. Äußerlich war er der Gleiche wie Stunden zuvor, doch etwas in ihm war erloschen. Für immer.
    »Wirst du gehen?« Yusufs Lider blinzelten nicht einmal, so gebannt starrte er Rashad an.
    Dieser hob die Schultern und starrte über die Hügel vor der Stadt, auf die sie sich zurückgezogen hatten, in die untergehende Sonne. »Ich weiß es nicht.«
    »Was zögerst du noch? Darauf hast du doch all die Jahre gewartet! Nein, streite es nicht ab!« Rashad schwieg, was den Händler nur mehr in Fahrt brachte. »Ha, du schämst dich! Du hältst dich für nicht gut genug! Du willst dir ersparen, dass sie dich abweisen könnte! Du –   «
    »Lass gut sein«, fiel Rashad ihm ins Wort.
    Eine Weile war es still, bis Yusuf leise fortfuhr: »Was hast du zu verlieren, Rashad? Wenn sie dich fortschickt, hast du endlich Ruhe. Und«, fügte er in neckendem Tonfall hinzu, »du weißt: In jeder Stadt Arabiens kennt man Yusuf bin Nadir, der alles kauft und verkauft, was sich zu Geld machen lässt. Der auch immer eine Wache für seine Schätze benötigt.«
    Rashads Mundwinkel zuckten gegen seinen Willen. Statt einer Antwort bat er: »Kann ich mir eines der Kamele ausleihen, über Nacht? Ich möchte gerne dort hinausreiten.« Er deutete in Richtung Wüste.
    »Nur zu, nur zu!«, rief Yusuf eifrig
    Sein langjähriger Begleiter erhob sich, und auch Yusuf stand auf.
    »Aber dass du ja mit der richtigen Entscheidung zurückkommst!«, hörte Rashad ihn hinter sich keifen, als er davonritt.
    Lange saß Rashad in der Wüste, unter dem Sternenzelt, an dem am Horizont ein sattgelber Mond aufging, wie eine Scheibe, mit Safran gefärbt. Das konnte kein Zufall mehr sein, vielmehr ein Fingerzeig Allahs, der ihm die Richtung wies. Er fühlte sich wie aus einem langen, tiefen Schlaf erwacht, plötzlich wieder lebendig. Yusuf hatte recht: Er hatte nichts zu verlieren. Schon lange nicht mehr. Er hatte bereits alles verloren, was einmal sein Leben ausgemacht hatte. Doch zum ersten Mal fühlte er sich auch frei. Frei von den Pflichten und Gesetzen seines Stammes, seines Volkes.
    Er war ein freier Mann, frei, dorthin zu gehen, wohin es ihn zog. So lange Jahre der Wanderschaft waren nötig gewesen, um das zu begreifen. Hier, in Damaskus.
    Maya saß an ihrem Schreibtisch, doch das Arbeiten fiel ihr heute schwer. In den letzten Tagen war sie von einer inneren Unruhe erfasst worden, die sie sich nicht erklären konnte. Sie nahm ihre Brille ab und legte sie auf das nur halb beschriebene Blatt, rieb sich die Augen und die Nasenwurzel. Ein Windhauch blies sachte durch die Flügeltüren vor dem Balkon, brachte den Geruch von Sand und Staub mit sich. Zum wiederholten Mal diese Woche. Es wurde Zeit, dass der Sommer kam und sie nach Hause fahren konnte, in die Ferien; um sich im Kreis ihrer Familie zu erholen und um Angelinas Baby Nummer sechs zu bewundern, das sie im Winter zur Welt gebracht hatte. Maya fuhr zusammen, als sie den heiseren Schrei eines Falken zu hören glaubte. Hastig schob sie den Stuhl zurück und lief auf den Balkon, starrte zum Himmel. Nichts. Natürlich nicht. Eine Illusion, ein Streich, den ihr überarbeiteter Verstand ihr gespielt hatte. Trotz der Hitze des späten Nachmittags fröstelte Maya plötzlich und schlang die Arme um sich. Sie war den
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