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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond
Autoren: Cassie Alexander
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Kapitel 1
    Â 
    Â»Also,
ich hätte ja gedacht, Code Silber tritt ein, wenn ein alter Knacker versucht,
dich mit seiner Gehhilfe zu verprügeln«, sagte Charles, während er sich den
Schal um den Hals schlang.
    Grinsend holte ich meine
Handschuhe aus der Tasche. »Technisch gesehen ist auch eine Gehhilfe eine
Waffe.« Den ganzen Vormittag waren wir in einem kalten, dunklen Raum
eingesperrt gewesen und hatten uns Videos angesehen, die unsere Kenntnisse der
Sicherheitsvorschriften auffrischen sollten – eine ausgesuchte Tortur für
Pflegepersonal, das daran gewöhnt war, die ganze Nacht wach zu sein. Ich
wickelte mich ebenfalls in meinen Schal und setzte eine Mütze auf. »Unsere
Codes sollten eigentlich cooler sein, oder Charles?«
    Â»Sind sie doch: Code Pelz, Code Reißzahn … «
Prüfend klopfte er seine Manteltaschen ab, wahrscheinlich auf der Suche nach seinen
Handschuhen.
    Seit Antritt meiner
Schwesternstelle am County vor einigen Monaten hatte ich noch keine
Einlieferung miterlebt. Doch die Vampire, Formwandler und diversen anderen
Patienten, die auf unserer Station versorgt wurden, mussten ja irgendwo herkommen.
Der Rest des Krankenhauses hatte zwar keine Ahnung davon, dass wir im Keller
des allseits beliebten County Hospitals Menschen beherbergten, die mit Vampiren
in Kontakt standen – die sogenannten Tageslichtagenten –, aber irgendwie
mussten wir ja frühzeitig von einem Patientenneuzugang erfahren. Mir war eben
nur nicht ganz klar, wie das vonstattenging. Es gab eine Menge Dinge, in die
ich noch nicht eingeweiht war.
    Ich stand kurz davor, noch eine
Frage zu stellen, da fiel mir etwas an Charles’ Miene auf. Trotz des dicken
Schals erkannte ich, dass er grinste. »Du elender Lügner. Code Reißzahn ,
na klar.«
    Â»Schwester Edie ist ein klarer Code Gutgläubigkeit .«
    Â»Wenn du meinst, alter
Knacker.«
    Lachend hielt Charles mir die
Tür auf. »Nach dir.«
    Ich wappnete mich innerlich
gegen den Temperaturunterschied und ging hinaus.
    Die Winterkälte war wie
ein Schlag ins Gesicht – beziehungsweise in die Teile meines Gesichts, die sie
noch erreichen konnte. In zwei Tagen war Weihnachten, und der Himmel wirkte
trist und grau. Ich lief schon seit Wochen mit einer Frisur herum, die
hauptsächlich durch Mützen geformt wurde, und hatte mich auch heute in meinen
wärmsten Mantel gewickelt. Mit meinen breiten Hüften und den drei Kleidungsschichten
unter dem Mantel sah ich wahrscheinlich aus wie Jabba der Hutte aus Star Wars ,
nur dass in meinem Fall blaue Augen aus den Stoffbergen hervorlugten.
    Charles und ich wollten im Rock Ronalds zu Mittag essen – einem Laden, der direkt an der Kreuzung gegenüber vom
Krankenhaus lag und in dem unsere frisch entlassenen Patienten gerne ihr
offiziell verschriebenes Methadon gegen illegale Drogen wie Heroin oder Crack
eintauschten. Nachts hätte ich mich alleine nie dort hingewagt, nicht einmal in
den Drive-in, aber am helllichten Tag und zusammen mit einem männlichen
Kollegen fühlte ich mich sicher. Außerdem brauchte ich dringend Koffein, wenn
ich den Nachmittag überstehen wollte.
    Â»Was ist damals eigentlich
genau passiert?«, fragte Charles und drückte zweimal auf den Knopf für die
Fußgängerampel.
    Â»Ã„h …« Unruhig wippte ich vor
und zurück und ließ das rote Signal jenseits der sechsspurigen Straße nicht aus
den Augen. Mir war klar, worauf sich seine Frage bezog, aber ich wollte nicht
wieder Vergangenes aufwärmen. Deshalb wich ich seinem Blick aus und zuckte nur
mit den Schultern. »Du weißt schon: Ich wurde von Vampiren niedergestochen,
dann hat mich mein Zombie-Freund abserviert und schließlich die Stadt
verlassen. Das war’s.«
    Â»Noch zu früh?«
    Ich holte tief Luft und sah ihn
an. »Genau.« Er lächelte wieder, und rund um seine Augen erschienen kleine
Fältchen. Charles war ein toller Pfleger und vielleicht sogar ein noch tollerer
Freund – auf eine nette, väterliche Art –, wenn ich es nur zuließ. Er arbeitete
schon länger auf Y4 , als ich auf der Welt war. Ich musste sein
Lächeln einfach erwidern. »In vier Monaten müssen wir doch unsere Lizenz für
erweiterte lebensrettende Sofortmaßnahmen erneuern. Frag mich dann noch mal.«
    Â»Alles klar.«
    Die Ampel wurde grün, und wir
schauten beide noch zweimal nach links und rechts, bevor wir
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