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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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war ihm das größte Rätsel von allen, stammten sie doch aus ganz verschiedenen Welten. Nur dass sie sich liebten, das war jeden Augenblick spürbar, den man sie zusammen sah, als müssten sie jeden Tag doppelt nutzen, den sie zusammen sein konnten, nachdem sie so lange getrennt gewesen waren. Jonah fiel zum wiederholten Mal ein, dass er nicht einmal wusste, ob sie verheiratet waren, vor Allah oder Gott oder zumindest dem Gesetz. Er hatte sie nie danach gefragt; dass seine so viel jüngere Schwester Elizabeth ebenfalls den Namen Garrett trug, hatte er immer darauf zurückgeführt, dass sie es in der Welt mit einem englischen Namen wohl etwas leichter hätte.
    »Er hat uns sogar einmal besucht. In Cairo. Du musst ungefähr dreizehn gewesen sein.«
    Jonah dachte nach, schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich erinnere mich nicht.«
    »Ist ja auch schon lange her.« Maya streichelte den Anzugärmel ihres Sohnes. Jonah drückte ihre Hand, und sie tauschten einen langen Blick, ehe sie sich wieder dem Grabmal zuwandten.
    »Er sagte einmal, er wolle wie die Parsen bestattet werden, um in den Kreislauf der Elemente zurückzukehren«, murmelte Maya. »Aber ich denke, das hier ist auch eine gute Lösung.«
    »Hast du ihn geliebt?«
    Das Gesicht seiner Mutter entspannte sich. »Ja, Jonah, ich habe ihn sehr geliebt. Immer, eigentlich.«
    »Aber nicht so wie Vater.« Obwohl erwachsen, bestand Jonah auf diesem Unterschied.
    Maya lachte leise. »Nein, nicht so wie Vater. So wie ich deinen Vater liebe – so liebt man im Leben nur ein einziges Mal.« Ihr Gesicht blickte wieder ernst, als sie die Grabinschrift erneut ins Auge fasste.
    So viele Gräber … Jonathans irgendwo vor Sebastopol. Djamilas in Ijar. Ralphs vor den Mauern Delhis. Geralds und Marthas auf dem Kirchhof von St. Aldate’s in Oxford.
    Ein Lächeln zeichnete sich auf Mayas Gesicht ab, als sie sich daran erinnerte, wie schnell Rashad und ihr Vater sich damals angefreundet hatten – und wie schwer es Martha anfangs gefallen war, einen Araber als neuen Mann an der Seite ihrer Tochter zu akzeptieren. Es hatte einige Besuche ihrer Eltern, gutes Zureden Geralds und Bemühungen Rashads gebraucht, bevor Martha sich für ihn erwärmen konnte. Doch schließlich hatte sie ihn doch noch in ihr Herz geschlossen und bis zu ihrem letzten Tag nichts auf ihn kommen lassen. Ebenso wie Amy, die es Maya nicht übel genommen hatte, dass sie ihr so lange Jahre nichts von Rashad erzählt hatte, bis er vor ihrer Tür gestanden war, obwohl Amy die ganze Zeit über geahnt hatte, dass Maya etwas vor ihr verbarg. Amy, die noch immer mit ihnen im selben Haus lebte und ganz in ihrer Arbeit im Krankenhaus aufging.
    Auf dem Totenbett hatte Tante Elizabeth Maya das Versprechen abgenommen, in Cairo bestattet zu werden, und Betty, als sie ihr kurze Zeit später nachfolgte, ebenfalls. William Penrith-Jones war vor zwei Jahren einem Schlaganfall erlegen, und eines ihrer Kinder, Evelyne, hatte Angelina zuvor auch zu Grabe tragen müssen. Ein Schlag, von dem sie sich nie wieder erholt hatte. Es war Maya ein Trost, dass ihre Tochter Elizabeth bei ihrer Schwester lebte und sie mit ihrer angeborenen Fröhlichkeit wenigstens etwas aufmuntern konnte, zusammen mit der stetig anwachsenden Schar von Enkelkindern Angelinas. Elizabeth, das schöne, wilde Kind, das Maya und Rashad so spät noch geschenkt worden war, das ihrer beider Hang zu weiten Reisen geerbt zu haben schien und so früh bereits flügge geworden war, um immer wieder vibrierend vor Lebendigkeit und voll neuer Eindrücke und Erlebnisse nach Hause zurückzukehren.
    Irgendwann werden wir beide auch an der Reihe sein, Rashad. Aber noch lange nicht … nein, noch lange nicht. Wir haben immer noch eine Menge nachzuholen. Auch nach einundzwanzig gemeinsamen Jahren. Ich möchte einfach nicht ohne dich sein.
    Wenn Rashad in die Wüste hinauszog, tat er dies auch, um seiner ersten Familie zu gedenken, die er um ihretwillen verloren hatte. Maya wusste, dass Rashad noch immer an der Last dieser Schuld trug, wie an der, Djamila nicht gerettet haben zu können. Und er gedachte auch seiner beiden früheren Leben, das des Rashad ibn Fahd ibn Husam al-Din und das des Abd ar-Ra’uf. Nun war er Rashad al-Shaheen, und er wirkte glücklich. Wie befreit.
    »Lebe glücklich, lebe frei.« Wir haben es geschafft, Djamila. Weiß der Herr allein, wie uns das gelang. Aber ich danke ihm jeden Tag dafür.
    »Möchtest du gehen?« Maya nickte und hakte sich bei ihrem Sohn
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