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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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Kamelglöckchen, der aufgehängt war. Ein letzter Gruß aus Arabien. Dann trat sie hinaus. Jonah sah ihr erwartungsvoll entgegen, eben noch in die Inschrift auf dem Grabmal vertieft. Über der Tafel mit dem Epitaph und unter dem Kruzifix aus grauem Stein ein aufgeschlagenes Marmorbuch, eingelassen in die Vorderwand des Beduinenzeltes. Maya stellte sich neben ihren Sohn und betrachtete ebenfalls die Inschrift auf der linken Seite desselben.
    Captain Sir Richard Francis Burton
K.C.M.G., F.R.G.S.
Geboren 19. März 1821
Gestorben zu Triest
19. Oktober 1890
RIP
    »Hast du ihn gut gekannt?«, wollte Jonah wissen, der in seinem Elternhaus in den Gassen Cairos immer noch Tariq genannt wurde, in dem Krankenhaus derselben Stadt aber, in dem er arbeitete, Dr. Jonah Garrett, wie es auch in seiner Geburtsurkunde stand. Fünfunddreißig war er jetzt, mit einer bezaubernden Frau verheiratet und Vater dreier Töchter. Er blickte auf seine Mutter hinab, die er um fast einen Kopf überragte. Er war noch größer als sein Vater, dem er mit zunehmendem Alter immer ähnlicher sah, auch wenn er sein Haar kurz trug und meist einen Anzug anhatte. Erstaunt hatte er die Bestürzung und Trauer wahrgenommen, mit der seine Mutter auf den Tod von Richard Francis Burton reagiert hatte. Burton, der berühmte Weltreisende, Linguist, Schriftsteller und Diplomat, Mitglied der Royal Geographic Society , fünf Jahre zuvor zum Knight Commander des Order of St. Michael and St. George ernannt und damit befugt, sich »Sir« zu nennen – »eine leere Auszeichnung«, wie es empört in einem seiner zahlreichen Nachrufe geheißen hatte. Der unmittelbar nach seinem Ableben in Triest eine pompöse Prozession erhalten hatte wie sonst nur große Staatsmänner und der nach England überführt worden war, sobald dieses Grabmal stand und er hier bestattet werden konnte. Die kurzfristige Nachricht über die heute hier anberaumte Beisetzung hatte große Hektik bei seiner Mutter ausgelöst; doch trotz aller Eile hatte eine Verspätung des »P&O«-Dampfers ihre Anwesenheit bei der Zeremonie verhindert.
    Maya wiegte leicht den Kopf unter dem winzigen, schwarz beschleierten Hütchen auf ihrem graugesträhnten Haar.
    »Gut …«, murmelte sie, nickte schließlich. »Ich glaube schon, ja. Er hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt, fast zwanzig Jahre lang. Ach, länger. Richard war … wie ein dunkler Engel. Ein Schatten, der mich stets begleitete, auch wenn er nicht anwesend war. Ohne ihn … Ich mag mir gar nicht vorstellen, welch anderen Weg mein Leben ohne ihn genommen hätte.« Sie lächelte, und Jonah glaubte für einen Moment zu wissen, wie seine Mutter als junges Mädchen ausgesehen hatte. »Ohne ihn hätte ich deinen Vater wohl nie kennengelernt, und es gäbe weder dich noch deine Schwester.«
    Elizabeth, in ihrem Aussehen ganz nach Maya geraten, war nach ihrer Großtante benannt worden, wurde aber aus für Jonah unerfindlichen Gründen zuhause in Cairo immer »Djamila« gerufen. Zwanzig war sie jetzt und studierte an der vor zehn Jahren auch für Frauen geöffneten Universität in London Literatur.
    »Auch Richard Burton hatte seinen Anteil daran, dass dein Vater und ich wieder zueinander gefunden haben.«
    Nachdenklich betrachtete Jonah seine Mutter. Achtundfünfzig war sie vergangenen Monat geworden, und noch immer war sie ihm ein Rätsel. Ebenso sein Vater, der aus dem Nichts aufgetaucht war, als er vierzehn gewesen war. Er war nicht tot gewesen, wie seine Mutter ihm immer wieder erzählt hatte, aber er glaubte ihr, dass sie es selbst nicht besser gewusst hatte. Doch Jonah hatte sich schnell an seinen Vater gewöhnt; vielleicht stimmte es doch, was man in Arabien sagte: dass Blut niemals zu Wasser wurde. Rückblickend kam es ihm so vor, als sei Rashad nur kurze Zeit fort gewesen und er, der Sohn, hätte immer gewusst, dass er bald zurückkehren würde. Ein paar Mal hatte Rashad Jonah mit in die Wüste genommen, wenn auch in die ägyptische, und obwohl er nie die gleiche Faszination hatte empfinden können wie sein Vater, war er ihm dort nähergekommen als irgendwo sonst. In der Wüste, in der Rashad auch jetzt gerade wieder weilte, wie immer, wenn Maya nach England fuhr. Rashad hatte die ferne, kühle Insel nie betreten; Maya jedoch begleitete ihn zuweilen auf seinen Ausflügen, hinaus in Sand und Staub, und Jonah glaubte zu spüren, dass das Band zwischen den beiden dadurch noch inniger geworden war.
    Was seinen Vater und seine Mutter gegenseitig anzog,
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