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Unter dem Safranmond

Unter dem Safranmond

Titel: Unter dem Safranmond
Autoren: N Vosseler
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Tränen nahe.
    »Ja?«, rief sie auf das Klopfen hin zur Tür. Amy streckte den Kopf ins Zimmer herein.
    »Ich weiß, du möchtest eigentlich nicht gestört werden. Aber unten wartet ein Araber, der dich sprechen möchte. Es sei wichtig, sagt er.«
    Maya seufzte und hob schicksalsergeben die Schultern. »Ist gut, lass ihn heraufkommen. Ich kann heute ohnehin nicht vernünftig arbeiten.«
    Während sie die schweren Schritte sich die Stufen emporarbeiten hörte, fuhr sie glättend über ihr Haar, aus dem sich zahlreiche Locken gelöst hatten, und strich über ihre Röcke. Die Hände vor ihrem Schoß gefaltet, wartete sie, bis der unangemeldete Besucher in der Tür stand.
    Die Zeit, die vergangen war, zerstob, als sie einander in die Augen blickten, Maya und Rashad. Ebenso das Arbeitszimmer, das Haus und ganz Cairo. Um sie herum breitete sich die Wüste der Ramlat as-Sabatayn aus, endloser Sand bis zum Horizont, zu purem Gold geschmolzen unter der Glut der Sonne. Die Sonne sank, verwandelte die Wüste in einen Ozean aus Rosenblättern, ein Lavendelfeld. Sterne glommen über ihnen auf, Kristalle an einem Himmel aus Indigo, und ein Mond wie aus Safran schob sich zu ihrem Funkeln hinauf.
    Ohne bewusst einen Schritt auf den anderen zu getan zu haben, hielten sie einander augenblicklich fest, mussten sich versichern, dass es kein Traum war, sondern greifbare Wirklichkeit. Sie ließen einander auch nicht los, als der Sand unter ihren Füßen wegrieselte, Bodenfliesen, Wände, ein papierübersäter Schreibtisch wieder zum Vorschein kamen und flimmernd die Schemen der Bücherschränke neben ihnen auftauchten, schließlich auch das Lärmen unten auf der Gasse wieder zu ihnen durchdrang. Maya strich über die Narben in Rashads Gesicht, über die alten, die sie kannte, und diejenigen, die ihr neu waren; über die Haut unter seinen Augen, die faltig geworden war, über die zwei scharfen Kerben beiderseits seines Mundes und die feinen Silberlinien in seinem Haar, seinem Bart. So wie er die grauen Haare in Mayas Locken nachzeichnete, die kleinen Falten rings um ihre Augen, über ihre voller gewordene Wangenlinie streichelte, die er vergeblich trocken zu wischen versuchte, weil immer neue Tränen nachflossen. Ihr Haar blieb an seinen rauen Händen haften, und auch der schwarze Stoff ihres Witwengewandes, als er die Münze aus Himyar umfasste, so wie ihre Finger die Kette um seinen Hals abtasteten, das Medaillon ihrer Großmutter und ihren alten Ehering, die eine so weite Reise hinter sich hatten. Doch nicht halb so weit wie der Weg, den Rashad und sie zurückgelegt hatten.
    »Es ist also wahr«, hörte sie ihn raunen, und ihr Herz zerfloss beim Klang seiner Stimme, die so viel schöner war, als sie sie all die Jahre in sich getragen hatte. »Ein Reisender ist letztlich immer auf dem Weg zurück nach Hause.«
    »Wer hat das gesagt?«, wisperte Maya.
    »Yusuf. Ein Freund von mir. Er hat mich zu dir geschickt.«
    Maya schüttelte den Kopf. »Allah. Allah hat dich zu mir geschickt, und Gott hat dich mir zurückgebracht.«
    Rashad lächelte und neigte sein Haupt. » Al-hamdu li-illah . Dem Herrn sei gedankt.«

Epilog
    Mortlake, nahe Richmond, England, den 15. Juni 1891
    Ein Beduinenzelt aus Stein und Marmor, doppelt so hoch wie ein Mann. Jede Tuchfalte akribisch in die harte Oberfläche geschlagen. Darin ein Altar mit Portraits und überquellenden Blumenvasen. Von der Decke hingen vier arabische Laternen herab. Buntes Glas in schmiedeeiserner Fassung, hinter dem Flammen flackerten und violettes, rotes und grünes Licht durch den kleinen Raum schickten, welches sich überschnitt mit dem Schein der auf dem Boden stehenden Laternen und dem Sonnenschein, der durch die kleinen Bleiglasfenster hereinfiel. Auf der linken Seite ruhte ein steinerner Sarkophag, über und über mit Blumen bedeckt, alles, was der englische Sommer hergab an Formen und Farben, in der Mitte ein Strauß Vergissmeinnicht. Ein Hauch von Weihrauch lag noch in der Luft. Maya legte den Wedel einer Dattelpalme neben den Sarg und zog aus ihrer Tasche einen kleinen Beutel hervor. Sand. Kaum eine Handvoll, doch genug, ihn von der flachen Hand durch den Raum zu pusten. Nur aus Cairo, mein Lieber, aber ich hoffe, es erfreut dich dennoch, wo auch immer du jetzt sein magst. Wenn ich schon wegen widriger Winde deine Beerdigung um ein paar Stunden versäumt habe. Ich weiß, du magst keine Abschiede, deshalb will ich es auch kurz machen.
    Tief durchatmend zog sie an dem Strang mit
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