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Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
Autoren: John Connolly
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Prolog
    Krieg ist ein mythisches Ereignis … Welche andere menschliche Erfahrung außer jener Todeskämpfe voll leidenschaftlicher Inbrunst … versetzt uns in einen mythischen Zustand, in dem die Götter für uns äußerst real sind?
    J AMES H ILLMAN,
Die erschreckende Liebe zum Krieg
    Bagdad
16. April 2003
    Dr. Al-Daini war es, der das Mädchen einsam und verlassen in dem langen Mittelgang fand. Es war fast völlig unter Glassplittern und Tonscherben, weggeworfener Kleidung, Möbelstücken und alten Zeitungen begraben, die als Verpackungsmaterial benutzt wurden. Im Staub und der Dunkelheit wäre es nahezu unsichtbar gewesen, doch Dr. Al-Daini hatte jahrzehntelang solche Mädchen gesucht, deshalb entdeckte er es, während andere womöglich einfach daran vorbeigelaufen wären.
    Nur sein Kopf mit den geöffneten blauen Augen und den verblassten roten Lippen lag frei. Er kniete sich daneben und schob einige Trümmer beiseite. Von draußen hörte er Schreie und das Rasseln der Panzer, die ihre Stellung wechselten. Plötzlich fiel helles Licht in den Gang, und bewaffnete Männer tauchten auf, die lautstark Befehle erteilten, doch sie kamen zu spät. Ihre Kameraden hatten untätig zugesehen, als das hier geschehen war, weil sie andere Aufgaben hatten. Ihnen war das Mädchen egal, nicht aber Dr. Al-Daini. Er hatte es sofort erkannt, denn es war schon immer eines seiner Lieblingsstücke gewesen. Seine Schönheit hatte ihn in ihren Bann geschlagen, seit er es zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte, und danach hatte er es sich nicht nehmen lassen, bei ihm stehen zu bleiben, wenn er tagsüber ein, zwei ruhige Minuten hatte, und es zu grüßen oder einfach sein Lächeln zu erwidern.
    Vielleicht könnte es noch gerettet werden, dachte er, doch als er vorsichtig das Holz und den Schutt beiseiteräumte, stellte er fest, dass er wenig tun konnte. Der Körper war zerschmettert, in einem sinnlosen Akt des Vandalismus in Stücke zerbrochen und entweiht. Das war nicht versehentlich geschehen, sondern mit Vorsatz – er konnte die Spuren auf dem Boden sehen, wo man mit Stiefeln auf die Arme und Beine eingetreten hatte, bis nur noch Fragmente übrig blieben, kaum größer als die Sandkörner, auf denen es jetzt lag. Dennoch war der Kopf vom Schlimmsten verschont geblieben, aber Dr. Al-Daini war sich nicht sicher, ob das, was man dem Mädchen angetan hatte, dadurch weniger schrecklich oder umso furchtbarer war.
    »Ach, meine Kleine«, flüsterte er, als er zärtlich seine Wange streichelte und es zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren berührte. »Was haben sie dir angetan? Was haben sie uns allen angetan?«
    Er hätte hierbleiben sollen. Er hätte sie nicht verlassen sollen, hätte keine von ihnen verlassen sollen, aber die Fedajin hatten sich in der Nähe des Informationsministeriums Gefechte mit den Amerikanern geliefert, und der Lärm der Schüsse und Explosionen war zu ihnen gedrungen, als sie Friese mit Sandsäcken gesichert und die Statuen mit Schaumgummi umhüllt hatten. Sie waren dankbar dafür gewesen, dass sie wenigstens einige der Schätze hatten in Sicherheit bringen können, bevor die Invasion begann. Danach hatten sich die Kämpfe bis zum Fernsehsender, der nur knapp einen Kilometer entfernt war, und zum Busbahnhof auf der anderen Seite des Komplexes ausgeweitet und waren immer näher gekommen. Er hatte dafür plädiert hierzubleiben, denn sie hatten Nahrungsmittel und Wasser im Keller eingelagert, doch viele waren der Meinung, dass es zu gefährlich sei. Alle Wächter bis auf einen waren geflohen, hatten ihre Waffen und Uniformen weggeworfen, und im Garten des Museums waren bereits schwarz gekleidete Männer mit Gewehren aufgetaucht. Deshalb hatten sie die vorderen Türen verschlossen, sich durch den Hinterausgang abgesetzt und waren über den Fluss zur Ostseite geflüchtet, wo sie im Haus eines Kollegen darauf warteten, dass die Kämpfe aufhörten.
    Doch sie hörten nicht auf. Als sie versuchten, über die Brücke beim Medical City Hospital zurückzukehren, waren sie abgewiesen worden, deshalb waren sie wieder bei ihrem Kollegen geblieben, hatten Kaffee getrunken und abgewartet. Vielleicht waren sie zu lange dort geblieben, hatten hin und her diskutiert, ob es klug sei, einen vorerst sicheren Ort zu verlassen. Aber was hätten sie sonst tun können? Dennoch konnte er sich weder verzeihen noch seine Schuldgefühle besänftigen. Er hatte das Mädchen im Stich gelassen, und sie hatten sich an ihm ausgetobt.
    Und jetzt
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