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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond
Autoren: Jewgeni Lukin
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erschrocken an ihn schmiegte, beruhigend über die Schulter strich.
    Sie lebten in einem kleinen Zelt, das einem ledernen Hügelchen glich. Der Zauberer hatte in Anwesenheit des ganzen Stammes, der übrigens ziemlich klein war, einen Zauber auf sie gelegt, worauf niemand mehr das Recht hatte, die Hand gegen seine Gäste zu erheben. Und dennoch wich Aliyat keinen Schritt von Ar-Scharlachis Seite, offensichtlich aus Angst, allein zu bleiben. Sie hatte große Angst vor den kleinwüchsigen schwarzen Eingeborenen und hielt jeden von ihnen für einen Zauberer.
    Am vierten Tag lief eine Staubfahne von Ost nach West am Horizont entlang und gegen Abend noch zwei. Mbanga hatte sich nicht getäuscht: Allem Anschein nach hatte eine allgemeine Flucht aus Harwa nach Kimir begonnen. Nach Größe und Geschwindigkeit des Staubes zu urteilen gehörten die Schiffe entweder Kaufleuten oder Räubern und fuhren in zunehmendem Maße allein, ohne sich zu Karawanen zusammenzufinden. Vielleicht hatten viele den unerhörten Brand in den Sanden der nickenden Hämmer gesehen oder wenigstens davon gehört, und sie hielten ihn völlig zu Recht für ein böses Vorzeichen. Obwohl nicht auszuschließen war, dass in der Wüste in den letzten Tagen noch etwas anderes, nicht weniger Erschreckendes passiert war …
    Doch alle Versuche Ar-Scharlachis, die Aufmerksamkeit der Flüchtlinge zu erregen, waren vergebens.
    »Ja, du hattest damals recht – das Glück ist vorbei«, sagte er missmutig, während er die Leinenhülle über den Schild zog, doch wie sich wiederum einige Tage später erwies, hatte er unrecht.
    Eine leichte einmastige Halbgaleere (bei Räubern der beliebteste Schiffstyp) fuhr dreist in ein paar Tausend Schritt Entfernung von dem Dickicht vorüber. Die Gegend galt überhaupt als gefährlich, sodass der Treiber auf dem Schiff ein tollkühner Mann sein musste. Gleich nach der ersten Folge von Lichtblitzen änderte das Schiff den Kurs und kam geradewegs auf die Stelle zu, wo am Rande der niedrigen, krummen Gewächse Ar-Scharlachi, Aliyat und der schwarze Zauberer Mbanga standen.
    »Unsere Leute«, sagte Aliyat erleichtert. »Wunderbar. Wir brauchen uns nicht einmal für jemand anders auszugeben.«
    Man erkannte schon den an der Mastspitze flatternden, von der Sonne zu blendendem Weiß ausgeblichenen Lappen.
    Nachdem sie sich von dem Zauberer verabschiedet und ihm den Schild zurückgegeben hatten, gingen Ar-Scharlachi und Aliyat dem Schiff entgegen. In fünfzig Schritt Entfernung refften die Räuber das Segel, und das Schiff stellte sich mit dem linken Steigbügel zum Dickicht. »Springmaus«, entzifferte Ar-Scharlachi den schwarzen Schriftzug des Namens. Eine Strickleiter wurde herabgelassen, und auf den Sand stieg ein Anführer hinunter, der von Weitem dem umgekommenen Lako sehr ähnlich sah – ebenso stämmig, massiv, selbstsicher in jeder seiner Bewegungen.
    Dann machte Aliyat »och!«, und Ar-Scharlachi schaute genauer hin. Und traute seinen Augen nicht. Mit wiegendem Schritt, gemächlich, die Füße durch den Sand ziehend, kam tatsächlich Lako auf ihn zu, der doch vor fast einem Mond zusammen mit dem Weißen Skorpion verbrannt war. Der Streithammel Lako. Lebendig. Quicklebendig …
    Alle drei blieben stehen, als sie ein paar Schritte voneinander entfernt waren, und brachten lange kein Wort hervor. Lako fasste sich als Erster. »Dich haben sie doch in Harwa hingerichtet …«, sagte er verwirrt zu Ar-Scharlachi.
    Das leichte Schiff machte seinem Namen Ehre, es sprang über die Dünen wie eine Springmaus. Der Boden der engen Kajüte ruckte und neigte sich. Immer wieder musste man den Krug und die Schalen festhalten.
    »Schade«, sagte Lako und seufzte aufrichtig. »Ein gutes Schiffchen war der Skorpion . Wendig, gehorsam … Du sagst also, sie haben es verbrannt …«
    »Kannst du vernünftig erzählen, was geschehen ist?«, konnte sich Ar-Scharlachi nicht verkneifen zu fragen.
    »Was gibt’s da zu erzählen … Ich habe versucht durchzuschlüpfen – es ging nicht. Sie haben uns abgefangen, sich von beiden Seiten auf uns gestürzt. Meine Leute haben sie fast alle niedergemacht, mir haben sie gleich zu Beginn einen Knüppel über den Kopf gezogen – und weg war ich … Sie haben uns auf ein anderes Schiff gebracht, angekettet … Und so habe ich mich vom Skorpion verabschiedet.«
    »Dein Glück«, murmelte Ar-Scharlachi. »Wenn du gesehen hättest, was sie mit ihm gemacht haben, mit dem Weißen Skorpion ! Uns ist ein Schauder über
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