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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond
Autoren: Jewgeni Lukin
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plapperte immer weiter: »Der Oreya hat ihnen nämlich nicht mehr gepasst … Freiheit wollten sie … Ach, die War-rane …«
    Sein schweigsamer Partner drückte die schweißgebadete Braue gegen die dreifache, von einem Faden zusammengehaltene Stofffalte auf der rechten Schulter. Die Nörgelei des Alten wurde ihm allmählich lästig.
    »Es braucht bloß ein Edikt zu kommen – und das war’s. Dann werden wir auch mit nackten Fressen herumlaufen …«
    Der Schweigsame konnte nicht mehr an sich halten. »Du redest dich noch um Kopf und Kragen, Opa! Für ›Nacktfresse‹ schmieden sie dich heute ein Jahr lang an den Holm. Und erst für Oreya …«
    Der Alte zuckte zusammen und glotzte den Partner an. Anscheinend war ihm nicht bewusst gewesen, dass er laut gedacht hatte.
    »Du … also …«, brachte er schließlich hervor, nachdem er ausgiebig geblinzelt hatte. »Du selber … bist ja noch jung … Und hast dir eine dreifache Falte auf der Schulter gemacht. Weißt du, was man dafür kriegt?«
    Der andere antwortete nicht und stemmte sich kräftiger gegen das von Händen blank polierte Holz. In den Schatten müsste man kommen, dachte er wehmütig. Sich unter besprengtem Laub hinlegen, und auf einem Metalltellerchen mit Wasser müsste im nassen Tüchlein ein Krüglein Wein stehen … Wie lange soll ich denn noch diesen Holm schieben? Der Herr wird ja keine Morgenrast halten – die Gegend ist gefährlich, eben … Da können jeden Moment Räuber aufkreuzen. Zum Beispiel der Namensvetter Scharlach … Fast Namensvetter. Den Titel weglassen, am Ende den Buchstaben Iat streichen – und die Übereinstimmung ist perfekt. Scharlach … Ein Spitzname natürlich. Offensichtlich einer vom gemeinen Volk, und wahrscheinlich aus dem Schatten meines Vaters … Vielleicht habe ich als Junge sogar mit ihm gespielt. Gespielt, gestritten, gerauft … Nur dass er damals natürlich anders hieß. Wäre doch interessant, ihm zu begegnen …
    »Und? Was ist?«, fragte unterdessen mit drohend zusammengezogenen Brauen der alte Schiffsläufer. Seine brüchige Stimme war die ganze Bordwand entlang zu hören, an den anderen Holmen wurde schon gelacht. »Drei Falten! Weißt du überhaupt, was das heißt – drei Falten …? Wer bist du? Wie lautet dein Name?«
    »Ar-Scharlachi«, antwortete der Jüngere vernehmlich.
    Auf der rechten Seite schluckten alle und waren dann still.
    »Ist das wahr?«, fragte jemand weiter hinten ungläubig.
    Der Mann, der sich Ar-Scharlachi genannt hatte, antwortete nicht. Ich will gar nichts, dachte er. Bloß in den Schatten kommen, mich vom Eigner auszahlen lassen, etwas kühlen Wein trinken, irgendwas anstellen … irgendwas Komisches … mir irgendeine anlachen … eine Bereitwillige, Rundgesichtige …
    »Ach«, seufzte jemand bitter. »Wenn wir die Galeere schieben – na schön. Aber wenn das jetzt auch schon die edlen Herren tun – was ist denn da los?«
    »Macht nichts!«, antwortete man ihm von links her schadenfroh. »Haben den Palmenweg verschlampt – sollen sie jetzt ruhig schieben!«
    Plötzlich traf sie von hinten ein warmer, fast schon heißer Windstoß. Dann noch einer. Über den Köpfen begann die Leinwandplane zu flattern, zu schlagen. Das traf sich gut. Womöglich konnten sie sogar Segel setzen … Freilich, die Räuber – denen kam dieser Wind auch zupass.
    Irgendwo weiter oben lief jemand über die Decksplanken, hantierte eilig, das aus Palmenfasern geflochtene Tuch fing an zu knattern – und die Galeere gewann mit einem Schlag an Fahrt. Der Schotter knirschte munter unter den Rädern, sie mussten längere Schritte machen. Die Schiffsläufer gingen jetzt einfach hinter den Holmen her, stützten sich eher darauf, als dass sie sie schoben.
    Der Schotter knirschte, der Schiffseigner, sichtlich besserer Laune, sprang auf den Erdboden herab. Wie die meisten Leute aus dem Palmenweg war er kräftig, hochgewachsen, knochig. Er trug fast die gleiche Kleidung wie die Läufer: einen weiten weißen Kittel und ein vom Stirnring gehaltenes Kopftuch – das allerdings war etwas neuer und sauberer als bei den anderen … Die wachsamen dunklen Augen über dem etwas abgesenkten Schleier spöttisch zusammengezogen. Der Kittel über der rechten Schulter sorgsam zu einer breiten Falte gelegt – also auch keiner aus dem gemeinen Volk.
    Er ließ den Blick über die Schiffsseite schweifen und ging nebenher. Wollte seinen Füßen etwas Bewegung verschaffen. Und der Zunge dazu.
    »Was lasst ihr die Köpfe hängen,
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